Zerbst, Sachsen-Anhalt
Ich bin Inge Sanders geboren 1928 in Zerbst, Sachsen Anhalt. Die Gegend, wo ich geboren bin, heißt Hundeluft. Das ist ein ganz lustiger Name, Hundeluft, der liegt ungefähr 20 Kilometer von Zerbst entfernt. da stammte meine Mutter, eine geborene Frieda Lutze. Mein Vater hieß Walter Buro.
Ich hab nachher in Wolfen gewohnt, Kreis Bitterfeld war das. Da sind meine Eltern hingezogen, als ich drei Monate war. Da ist mein Vater hingezogen, da waren die Bayerwerke, wie auch hier in Leverkusen. Da hat mein Vater immer schon gearbeitet. Dadurch bin ich da aufgewachsen.
Mein Vater war im Volkssturm, im letzten halben Jahr, da musste er raus. Aber es ist nichts passiert. Als der Amerikaner einmarschiert ist bei uns, da waren wir alle im Bunker, die ganze Familie. Da ging die Tür auf und amerikanische Soldaten kamen rein.
Jedenfalls gab’s keine Probleme mit der amerikanischen Besatzungsmacht, nur mit der Russischen. Die haben zum Beispiel in meinem Geburtsort, in Hundeluft, ein oder Zweifamilienhaus, da sind sie nachts eingedrungen und haben elf Personen, alle umgebracht. Bis auf ein kleines Kind von eineinhalb Jahren, das haben sie im Bettchen nicht erschossen, sonst haben sie alle erschossen. So gab es viele, viele sehr böse Sachen, die da passiert sind. Vor allem die erste russische Besatzungsmacht, die haben die Frauen, alle die sie kriegen konnten, haben sie vergewaltigt. Das war natürlich für uns grausam. Das hat nachgelassen im Laufe der Jahre.
Wir hatten erst die amerikanische Besatzung, die sind vielleicht vier Wochen geblieben und haben uns dann verlassen und der Russe ist einmarschiert. Das war natürlich ein Schock für uns alle, denn man hat so viel Schlimmes von der russischen Besatzungsmacht gehört.
Ich habe dann eine Ausbildung gemacht. Ich habe Schneiderin gelernt. Die Abschlussprüfung hatte ich mir vorgenommen, da bin ich per Anhalter nach dem Westen. Da bin ich stundenlang gelaufen, durch den Grenzgraben, da war kein Wasser drin. Als ich durch den Graben war, war ich im Westen Da haben mich zwei Polizisten aufgehalten, die standen auf einmal da, haben mich gefragt wohin und haben mir den Weg gezeigt. Die waren sehr nett, die haben mir den Weg beschrieben, den ich gehen musste, wie ich zur Autostraße komme. Und ich soll da versuchen, ob mich jemand mitnimmt.
Ich bin da stundenlang gelaufen, um 7 Uhr früh bin ich über die Grenze. Mittags hat einer angehalten und hat mich gefragt: “Sagen Sie, wo möchten sie hin?“ Das war ein Lebensmittelauto, die haben mich schon mehrmals überholt. Die haben Lebensmittel zur nächsten Ortschaft gebracht. Da sagte ich, ich möchte nach Westdeutschland. Ja, wir können Sie ein Stück mitnehmen, bis zur Autobahn, da müsste ich sehen, dass ich jemand finde, der mich mitnimmt. Das hat dann auch geklappt. Die haben mich bis zur Autobahnraststätte genommen und da standen schon mehrer Leute, zwei junge Männer und zwei junge Frauen, die wollten auch nach dem Westen.
Da kam ein riesengroßer Lastwagen, mit ganz hohen Rädern, der fuhr auch nach dem Westen. Den haben wir gefragt, ob sie uns mitnehmen. Da habe sie uns junge Frauen, die waren auch so circa 23 Jahre wie ich. Wir durften einsteigen. Aber die jungen Männer nehmen sie nicht mit. Wir waren ein bisschen erschrocken. Wir haben uns nichts Böses dabei gedacht. Es waren zwei Fahrer. Die hatten einen Schlafplatz. Der eine Fahrer hat gerade geschlafen. So eine von uns durfte hinten sitzen und ich konnte vorne, neben dem Fahrer sitzen. So sind wir stundenlang gefahren und auch mal Pause gemacht dazwischen, und als es dunkel wurde, da war es natürlich nicht mehr so lustig. Da hat er versucht, zu erreichen, was er wollte. Aber er hat es nicht geschafft. Ich habe schon am Boden gelegen, hab mich gewehrt mit Händen und Füßen. Dann wollte er mich mitten in der Nacht auf der Autobahn hinaustreten. Da ist ihm nicht gelungen, dann hat er mich in Ruhe gelassen und ist weitergefahren bis morgens um sechs oder um sieben Uhr ist er durchgefahren; dann waren wir im Westen. Also im Ruhrgebiet waren wir, dann hat er gesagt, ich könnte hier aussteigen und dann müsste ich noch laufen bis nach Essen. Das war mein Ziel, da wohnte mein Bruder. Dann habe ich mich bedankt und gefragt, ob ich ihm etwas schulde, was er verneinte, dann bin ich ausgestiegen, Tür zu und ich bin gelaufen. Von morgens 7 Uhr bis mittags um zwölf. Das war weit. Viel Kilometer bin ich gelaufen. Dann hab ich die Straße und die Adresse meines Bruders gefunden.
Mit 50 Jahren habe ich die damalige DDR verlassen und bin nach Westdeutschland gegangen, wo damals schon mein älterer Bruder gewohnt hat. Er verließ die DDR drei Jahre vor mir. Wo ich herstamme, waren die Leute hauptsächlich evangelisch, abgesehen von den Flüchtlingen, die damals gekommen sind. Auch ich bin als kleines Kind evangelisch getauft worden und hatte bis zum Jahre 1958 von der Kirche Jesu Christi in der damaligen DDR noch nichts gehört.
Mit meinem Mann habe ich von der Kirche Jesu Christi gehört. Die Kirche lag an der Straße, wo wir täglich mit dem Auto vorbeigefahren sind, die war zwei, drei Jahre vorher, bevor ich geheiratet hatte, in Herne gebaut worden. Das hab ich auch damals nicht erfahren können.
Mein Mann war kein Mitglied vorher. Wir haben 1958 geheiratet und 1976 ist er verstorben. Er war vier oder sechs Wochen tot, als zwei Missionare zum ersten Mal an meiner Tür geklingelt haben und haben mich gefragt, ob sie mit mir über die Kirche Jesu Christi sprechen dürften. So habe ich sie hereingebeten und habe zum ersten Mal etwas von dieser Kirche erfahren. Mein Sohn kam zufällig dazu und hat sich das auch sehr interessiert angehört. Die Missionare haben mich gefragt, ob sie wieder kommen dürften, was ich gerne beantwortet habe und so sind sie nach einigen Tagen wieder gekommen und haben uns wiederum von der Kirche Jesu Christi erzählt, was uns sehr interessiert hat. Das war etwas ganz Neues, was wir bis dahin noch nicht kannten.
Sie sind des Öfteren wieder zu uns gekommen und haben uns gesagt, dass wir auch zum Gottesdienst kommen konnten und das haben wir dann auch gemacht. Das hat uns sehr gefallen, es hat uns sehr angesprochen und wir sind dann in diese Gemeinde gegangen zum Gottesdienst. Nach einem Jahr hat Gerald sich taufen lassen; er war von allen Dingen ganz begeistert.
1976 ist mein Mann verstorben und 1982 bin ich von Herne weggezogen und zwar nach Hessen. Mein Sohn war inzwischen auf Mission, da hab ich erst ein paar Jahre gewohnt. Dann ist mein Sohn von Mission zurückgekommen.
Der hat dann aber, dreiviertel Jahr später, geheiratet und hat dann auch eine Wohnung bezogen, in der Nähe, wo ich gewohnt hab, in Friedrichsdorf. So lange, bis ich geheiratet habe 1958 bin ich nach Herne gezogen und bin 1957. Da war mein Mann schon tot, der hieß Heinz Sanders. Und damit mussten wir auskommen, einhundert oder zweihundert Gramm. Damit mussten wir leben. Das war gerade genug zum Überleben.
Denn man hat sich immer noch zusätzlich, meine Mutter zum Beispiel ist über Land gegangen, zu den Bauern, auf die Dörfer und hat irgendwelche Sachen angeboten, ob sie dafür Lebensmittel haben könnte. Zum Beispiel Kartoffeln oder Rüben, um Rübensaft, oder einmal Milch oder so etwas, für meinen Bruder. Wir Erwachsene, wir bekamen ja gar keine.