Wien, Österreich
Mein Name ist Eva Maria Elisabeth Stättner, geborene Hauke. Geboren bin ich am 29.01.1933 in Wien. Mein Vater war Amandus Maria Hauke und meine Mutter Amalia Elvira Miksch. Ich bin ein Einzelkind aus einer geschiedenen Ehe und bin praktisch von meiner Mutter und meiner Tante gemeinsam aufgezogen worden. Meine Tante hieß Maria Miksch, sie war unverheiratet. Sie war die Lieblingsschwester meiner Mutter, die sechs Geschwister hatte.
Meine frühe Kindheit war eigentlich sehr schön. Ich wurde verwöhnt, ich habe alles bekommen. Meine Mutter hat sehr großen Ehrgeiz gehabt, mich auszustaffieren mit den schönsten Kleidern. Sie hat mir alles genäht und gemacht. Ich habe die Volksschule besucht, danach bin ich ins Gymnasium gekommen. Die Unterstufe habe ich im Gymnasium in der der Billrothstraße und die Oberstufe im achten Bezirk in der Albertgasse absolviert.
Natürlich sind die Kriegsjahre dazwischen gekommen. Als ich sechs Jahre alt war, ist der Krieg ausgebrochen. Es war nicht so schön, wenn in der Nacht die Sirenen gegangen sind und man musste in den Keller hinunter und trotzdem am nächsten Tag in der Frühe wieder in die Schule gehen. Ich hatte immer einen kleinen Koffer gehabt und meinen Lieblingsteddybär in der Hand. Den habe ich immer mit hinunter genommen. Wenn ich in der Schule war und der Alarm kam, war es schon beängstigend. Die Kinder, die in der Nähe gewohnt haben, hat man nach Hause geschickt, in der Hoffnung, dass sie bis nach Hause kommen. Da konnte es schon sein, das zwischen dem sogenannten Voralarm und dem eigentlichen Fliegeralarm so wenig Zeit war, dass ich es nicht bis nach Hause geschafft hatte. Dann musste ich ganz alleine in irgendeinen fremden Keller gehen zu fremden Leuten und habe mich natürlich gefürchtet. Wenn ich nach Hause gegangen bin, war immer die Angst, wird unser Haus noch stehen, wird meinen Leuten nichts passiert sein.
Ich erinnere mich auch noch daran, was weniger schön war: Unmittelbar nach dem Krieg hatte man wirklich nichts zu essen gehabt und man hat einen Topf voll Suppe bekommen im Ausschank der Schule. Meine Mutter hatte so ein Futteral mit einem Henkel genäht, das habe ich aufgefüllt bekommen und habe es mit nach Hause bekommen. Zu Hause haben meine Mutter und meine Tante davon gegessen und dann habe ich es noch zu meiner Klavierlehrerin getragen. Die Eltern meiner Klavierlehrerin, die in der Nähe gewohnt hat, haben auch noch davon gegessen. Das sind nicht so schöne Erinnerungen.
Wien wurde sehr zerstört, die Staatsoper war kaputt und in einzelnen Bezirken wurden viele Häuser zerstört. Glücklicherweise ist unserem Haus nichts passiert. Aber wir haben zum Beispiel beim Einmarsch der Russen vierzehn Tage im Keller gewohnt. Alle Hausparteien sind hinunter gegangen, haben in den Holzverschlägen nur eine Decke auf die Kohlen gelegt und dort geschlafen. Das war schön hart. Man hat darauf gewartet, dass die Russen ins Haus reinkommen. Glücklicherweise ist das nicht passiert.
Dieses Haus hier in der Hinterbrühl wurde schon von meinen Großeltern im Jahr 1932 gekauft. Es war vermietet oder eigentlich requiriert in den letzten Jahren von dem Generaldirektor der Flugzeugwerke, die in der Seegrotte hier in der Hinterbrühl waren. Das Wasser war ausgepumpt und sie haben dort das erste Düsenflugzeug erzeugt. Als er dann geflüchtet war, sind zunächst die Einheimischen gekommen und haben alles mitgenommen, was in dem Haus war. Vorher war schon eine Fliegerbombe da hinten im nächsten Zimmer reingeflogen und da hatten wir gar keine Decke mehr drin. Dann kamen die Russen und haben drei Jahre in diesem Haus gehaust. In jedem Zimmer hatten sie eine andere Werkstatt. Hier war ein Schneider, daneben war ein Schuster, ich weiß nicht, was noch alles. Meine Mutter, die aus dem Sudetenland war und auch tschechisch konnte, ist immer wieder mit mir und Freundinnen von mir rausgefahren, um mit den Russen wieder einmal zu schimpfen, dass sie nicht alles kaputt machen. Sie haben alles kaputt gemacht. Zwanzig bis dreißig Zentimeter lange Nägel haben sie in die Wände getrieben, auf denen sie ihre Kleider aufgehängt haben. Sie haben sämtliche sanitären Einrichtungen im Haus zerstört, denn sie wollten die Klosetts benutzen, um sich zu waschen. Sie haben sich geärgert, weil das Wasser nicht geblieben ist und haben mit dem Gewehrkolben die Klos zerschlagen. Umgekehrt aber wollten sie für hinterlistige Zwecke die Waschbecken als Klosett benutzen. Da ist wieder alles geblieben. Sie haben Zorn bekommen und alles zusammengehauen. Als sie endlich weggegangen sind, wenigstens aus diesem Haus, waren wir natürlich trotzdem überall von Russen umgeben. Damals hat es noch nicht so viele Häuser hier gegeben, wir waren eher recht einsam hier. Da in dem Zimmer, erinnere ich mich noch genau, haben meine Mutter und ich auf abgesägten Holzstämmen von unserem Wald geschlafen und dazwischen einen Eisenrost gelegt. Meine Mutter hatte eine halb mit Wasser gefüllte Bierflasche beim Bett, weil man ihr gesagt hat, wenn die Russen rein kommen und sie schmeißt diese Flasche, dann macht das so eine Explosion, dass sie davon laufen. Die Tür haben wir nur mit einem rostigen Nagel zugebunden. Vor der Eingangstür, neben dem Brunnen, waren ein paar Ziegel aufgeschichtet und dazwischen ein Rost und dort haben wir gekocht. Also es war wirklich die primitivste Möglichkeit.
Mit achtzehn Jahren habe ich meine Matura gemacht und bin auf eine große Matura-Reise gegangen. Achthundert Mittelschüler auf eine Pilgerreise nach Lourdes in Süd-Frankreich. In demselben Jahr habe ich meinen Mann kennengelernt, den ich zunächst für einen Dieb gehalten habe. Ich war so stolz, denn meine Mutter hatte mir einen sehr schönen neuen Wintermantel genäht und einen Hut, sie war sehr geschickt. Nach der Tanzschule wollte er meine Garderobe holen. Ich stand dort und habe gewartet und gewartet und er ist nicht gekommen. Dann habe ich mir gedacht, meine Güte, der hat jetzt meinen Mantel gestohlen. Aber er war nur sehr höflich, er hat alle Mädchen vorgelassen und ist dann als Letzter gekommen.
Es war für mich eine sehr große Umstellung, weil ich doch ein Stadtmensch war und er hat auf dem Land draußen in Gutenstein seine Praxis gehabt. Ich hatte dort überhaupt keine Freundinnen oder etwas. Denn die Leute, mit denen mein Mann verkehrt hatte, war der Apotheker, der Richter, die Ärztin usw. Das waren Greise von dreißig und ich war neunzehn. Was redet eine Neunzehnjährige mit Dreißigjährigen, die Kinder haben und Hühner und Haustiere? Mein Mann hat sehr viel Hausmusik betrieben, er hat die zweite Geige in einem Quartett gespielt. Sie haben sich jede Woche zum Üben getroffen. Da mussten wir immer still sein, wir durften nicht reden. Dann hat der Oberste gesagt: „Noch einmal von Buchstabe sowieso und noch einmal …“ Das war schrecklich. Ich war zweieinhalb Jahre dort. Die letzte Zeit dort hat der Zahnarzt auch geheiratet und ich hatte dann jemanden. Mit ihr bin ich noch immer befreundet.
Wir sind dann nach Wien gezogen und waren kurz dort. Noch in Gutenstein bekam ich die zwei Kinder, meine Tochter ist die Ältere und dann unseren Sohn. Da musste man mit dem Kinderwagen dieselbe Straße hin und her gehen, denn der Ort war sehr sonnenarm, weil Berge da sind. Die Sonne ist nur für wenige Stunden im Winter dort hingekommen. Man musste immer hin und her gehen, das war schon sehr öde. Später haben wir ein paar Jahre beim Schlachthof in der Wiener-Neustadt gewohnt und in den frühen sechziger Jahren sind wir hier her gezogen. Mein Mann hat am Anfang, als er seinen Job gewechselt hat, nicht viel verdient und ich habe dann auch gearbeitet. Zunächst einmal habe ich, kann man fast sagen, auf Kosten des Staates Maschinenschreiben gelernt. Ich hatte schon einen Kurs gemacht, und war dann im Handelsgericht im ersten Bezirk in der Schreibabteilung, da habe ich natürlich viel geschrieben und habe das Schreiben gelernt. Danach bin ich zu den Austria Airlines gegangen und war beim Bodenpersonal in der Verwaltung in der Stadt und teilweise am Airport tätig. Das war sehr weit von hier, ich musste halb sieben morgens mit dem Bus nach Mödling fahren, dann mit dem Zug nach Wien, dann bin ich entweder durch den Belvedere-Garten hinunter gegangen bis in die Salesianergasse, oder ich habe mich außen an die Straßenbahn gehängt, die immer ganz voll war, und da ist man schwarz gefahren und abgesprungen, wenn es nötig war, dort hat dann der Firmenbus gewartet, der hinunter nach Schwechat fuhr. Ich bin also um halb sieben morgens weggegangen und bin oft erst um acht Uhr abends nach Hause gekommen. Bis meine Mutter und meine Tante gesagt haben: „Pass auf, das ist zu viel, wir können nicht immer auf die Kinder aufpassen.“ Die Kinder waren auch schon schulpflichtig. Mein Mann wollte das dann auch nicht mehr und ich bin zu Hause geblieben.
In diesen Jahren haben wir sehr viele schöne Reisen gemacht. Wir haben zwei Mal eine Flugreise gemacht, einmal um die nördliche Halbkugel und einmal um die südliche Halbkugel. Wir waren auf allen fünf Kontinenten und haben sehr viel gesehen. Wir haben auch andere Reisen gemacht. Also, das war sehr schön.
In den sechziger Jahren, als wie noch beim Schlachthof gewohnt haben, kamen die ersten Missionare zu uns. Es hat praktisch zehn Jahre gedauert bis wir Mitglieder waren. Seither habe ich auch viele Berufungen gehabt, in der FHV und so. Seit dreizehn Jahren bin ich schon bei Leo Soucek und schreibe die Patriarchalischen Segen und bin außerdem in der FHV Sekretärin. Ich habe nebenbei sehr viele Übersetzungen gemacht und habe mich sehr viel mit englischer Literatur befasst. Wenn es irgendetwas zum Übersetzen gab, habe ich das bekommen, oder wenn die Generalautoritäten mit ihren Frauen in Wien waren, habe ich auch eine Zeitlang übersetzt. Zum Beispiel, als Schwester Winder FHV-Sekretärin war und bei einigen anderen. Wie das immer ist, wechselt der Pfahlpräsident, wechselt auch die übrige Belegschaft. Ich bin froh, dass ich das heute nicht mehr machen muss, obwohl es immer tadellos war, war ich trotzdem immer aufgeregt.
Wir haben uns beworben, auf Mission zu gehen. Ich habe gehofft, dass ich in ein Land komme, in dem ich eine meiner Sprachen anwenden kann, und war maßlos enttäuscht, als es hieß, nach Frankfurt. Dass ich aber dort mit einer Menge Sprachen konfrontiert würde, dass ich dort irrsinnig verschiedenartige Artikel übersetzen müsste, damit haben wir nicht gerechnet. Wir haben also eine wirklich sehr schöne Zeit gehabt. Wir hatten eine wunderschöne Fünf-Zimmer-Wohnung am Tannenweg, das traue ich mich gar nicht zu sagen. Zu Weihnachten ist die ganze Familie gekommen. Wir hatten zwei Autos. Das zweite Auto hat sich ergeben, weil unsere Tochter uns ihren Wagen noch geschenkt hat und plötzlich war ein zweites Auto da, das konnten wir eh nicht brauchen. Wir waren die ersten Missionare für Öffentlichkeitsarbeit.
Begonnen hat es damit, dass wir gar nichts gekonnt haben. Ich bin mit meiner Reiseschreibmaschine angerückt. Sie haben dort alle gelacht und haben gesagt, dass sie Reiseschreibmaschinen zu hunderten im Keller haben. Sie wurden alle ausrangiert. Ich bekäme einen Computer. Ich habe es wirklich so gemacht, wie mir gesagt wurde: „Wenn du diesen Knopf drückst, passiert das und das.“ So habe ich das geschrieben. Ich kann diese großen Betriebsanleitungen nicht lesen, da bekommt man ja so einen Kopf. Bis heute habe ich diese alte, selbst fabrizierte Anleitung. Bei mir ist vieles schon in Vergessenheit geraten, weil ich sie nicht mehr brauche. Wenn es dann doch einmal kommt, dann mache ich das und schaue in dieser eigenen Anleitung nach.
Als wir begonnen haben, war das wirklich eine Demutsprobe, denn wir waren total unterbeschäftigt. Das ist das Formular: „Guten Tag. Hier spricht Schwester Stättner.“ So einen unglaublich primitiven Dialog, den wir halten sollten. Wir sollten Bücher Mormon verschicken. Wir haben Zettel mit den Adressen ausgefüllt, haben Bücher Mormon hergerichtet, haben Postsäcke bekommen, haben siebzig Bücher in so einen Postsack getan und sind hinüber gegangen. Wir hatten einen Chef und der hatte eine Assistentin und dann eben wir zwei. Dort haben wir gesagt: „Bitte, die Säcke sind fertig.“ Er sagte dann: „Die müsst ihr selber auf die Post bringen.“ Das war nicht möglich. Wir haben wieder fünfunddreißig Bücher raus geräumt und sind mit fünfunddreißig Büchern im Auto auf das Postamt gefahren. So hat das angefangen und es gab noch weitere, etwas interessantere Aufgaben.
Es war gerade eine große Buch Mormon Aktion, bei der wir Prospekte und alles verschickt haben. Das war so ziemlich das erste. Dann mussten wir zum Beispiel monatliche Rapporte an die Area Presidency schreiben und das war immer in englischer Sprache. Einmal im Monat gab es einen Telefontag. Wir haben in der Nacht noch dort gesessen, denn wir mussten jeden einzelnen Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit in ganz West-Europa anrufen: Erst mit ihnen Small Talk halten, nach den Schwierigkeiten fragen usw. Manchmal saßen wir bis zwei Uhr in der Frühe, haben aber dann den nächsten Tag frei gehabt. Wir haben immer Tagesabläufe bekommen, was zu machen war.
Dann hat man begonnen, auf Reisen zu gehen. Wir haben die Pfähle geschult für die Öffentlichkeitsarbeit, zum Beispiel auch den Military Stake in Nürnberg, dort haben wir es in Englisch gehalten. Am Anfang war es so, dass unser Chef und die Sekretärin und wir zwei gefahren sind. Der Chef hat den ersten Teil gehalten, die Sekretärin den zweiten Teil, mein Mann hat dann eine sogenannte Kür gehalten, er konnte lustige Erfahrungen usw. bringen, und ich durfte auch noch etwas sagen. Dann ist es aber so geworden, dass zum Schluss nur noch wir zwei alleine geschickt wurden. Dadurch, dass wir immer in anderer Zusammensetzung waren, manchmal zu zweit, manchmal zu dritt, manchmal zu viert, war es auch interessant, weil man sich jedes Mal anders vorbereiten musste. Das hat viel Freude gemacht. Wir waren in Antwerpen, Berlin, Hannover, Neumünster, München, Stuttgart, Nürnberg, Leipzig, Zollikofen in der Schweiz und in Ungarn. Wir waren auch bei der Wiedereröffnung des Tempels in Zollikofen und haben dort Leute durch den Tempel geführt.
Dann haben wir die Presseberichte durchgeschaut. Wir sind in die Staatsarchive gefahren und haben alle Bücher und Enzyklopädien durchgeschaut, was über Mormonismus drin steht. Diese Dinge haben wir berichtigt und haben an die einzelnen Redaktionen geschrieben. Manche haben sehr freundlich zurückgeschrieben, dass sie bei der nächsten Drucklegung diese Dinge berücksichtigen werden. Andere haben nichts geschrieben. Dann hat es viele Events gegeben, zum Beispiel, als gerade einhundert-fünfzig Jahre Frauenhilfsvereinigung war. In den einzelnen lokalen Zeitungen wurden Artikel verfasst. Diese Artikel, die in Deutsch waren, habe ich ins Englische übersetzt für die Area Presidency.
Schulungskurse, die wir gehalten haben, waren zum Beispiel, ein geistiges Konzept, ein technisches Konzept und die Hilfestellungen. Es gab mehrere solche Schulungen, die wir abgehalten haben, auch mit den Transparencies, die ich dann auch verfasst habe. Als ein Fuß in den Text hineingeragt war, war ich sehr stolz, dass ich das am Computer zusammengebracht habe. Das war Schulung für den Servicemen Stake in Nürnberg.
Zu unserer Forschungsarbeit in den Bibliotheken haben uns die Leute zurückgeschrieben, zum Beispiel das Bibliographische Institut Brockhaus hat geschrieben: „Vielen Dank für ihre freundlichen Zuschriften vom soundsovielten, in denen sie sich auf verschiedene Werke unseres Hauses beziehen. Gern haben wir ihre Hinweise an die zuständige Fachredaktion weitergeleitet, die sie bei einer künftigen Neubearbeitung der betreffenden Lexika prüfen wird. Über ihr Interesse an unserer lexikalischen Arbeit haben wir uns sehr gefreut und verbleiben …“
Es gab auch ein wöchentliches Treffen zwischen unserem Chef, der Sekretärin und uns, bei dem alles besprochen und festgelegt wurde. Ein ganz großer Job war „Die Entwicklung des Handbuches für Öffentlichkeitsarbeit“. Das Erste habe ich geschrieben. Dann wurde es zwei Mal verbessert und ich glaube das Dritte ist erst beim Propheten gelandet und wurde auch genehmigt und verwendet. Wir waren bei der Vorbereitung der Fernseh-Übertragungen dabei, als zum Beispiel der Tabernakel-Chor in Wien war.
Wir wurden mit den Young Ambassadors auf Tournee geschickt und das war auch eine sehr herausfordernde Sache. In Amerika hatte man sich vorgestellt, dass die Leute zu den Theatern stürmen und Karten nehmen. Es hat sich niemand dafür interessiert. Dann haben sie gesagt, wir sollen mit den Karten auf die Straße gehen und die Leute einschätzen. Die uns entgegen kommen, sollen wir ansprechen, dass morgen ein Konzert dort und dort sein wird. Mit ein bisschen Russisch, das ich konnte, haben wir das auch getan. Wenn sie gesagt haben, ja sie können, dann haben wir ihnen Karten gegeben. Wenn sie gesagt haben: „Das wissen wir nicht ob wir frei bekommen oder ob wir einen Babysitter bekommen“, haben wir gesagt: „Bitte kommen sie zum Theater, es werden Karten für sie da sein.“ So haben wir die Theater wirklich brechend voll bekommen.
Wir sind zur Probe hingekommen, sie haben alles aufgestellt, ihre Musikinstrumente usw. und es gab kein Licht. Sämtliche Glühbirnen, die ganze Bühnenbeleuchtung war gestohlen. Auf dem Prospekt damals gab es ein einziges Hotel, Hotel Europa, von dem aus man in den Westen telefonieren konnte. Wir mussten unseren Chef anrufen, der am nächsten Tag hatte kommen müssen und versprochen hat, dass er die Glühbirnen mitbringt. Er kam am nächsten Tag, aber die Glühbirnen haben nicht gepasst, weil das noch das alte DDR-Gewinde war. Wir sind dann in andere Theater gegangen und haben dort die Birnen raus geschraubt. Bei dieser Aktion ist mein Mann sogar einmal in den Orchestergraben abgestürzt. Er hätte sich das Bein brechen können, aber glücklicherweise hat er sich nichts getan. Wir haben es dann geschafft, dass Theater mit eintausend-vierhundert Leuten zu füllen.
Ich bin in die Lomonossov-Universität gegangen, habe mich dort vorgestellt und habe Kontakt zu den englisch sprechenden Professoren aufgenommen. Am nächsten Tag kamen sie geschlossen mit vielen Studenten. Die Universität hat dann eine Gegeneinladung ausgesprochen, die auf der Lomonossov-Universität abgehalten wurde. Da waren so entsetzlich viele Studenten, die sich interessiert haben. Es wurde dann auch Privates gesprochen, wie ist das Leben in Amerika, was kann man tun, was kann man anziehen, was kann man sich trauen zu sagen. Es war Frühling, die Fenster waren offen und es war ebenerdig, so dass noch Trauben von Studenten an den Fenstern hingen. Die BYU hat kleine Kostproben gegeben und ein bisschen getanzt. Das war ein riesiger Erfolg und wunderbar.
Wir hatten einen Videofilm dabei, das war ein Hilfsprojekt für Jugoslawien. Der Pfahl Berlin hat dieses Projekt gefilmt. Mein Mann war dort, der den Präsidenten interviewen musste und das musste auf die Sekunde genau passen. Dann kam das mit der Wiedereröffnung des Schweizer Tempels. Da habe ich sogar ein paar Fotos bekommen. Am Schluss mussten wir einen Abschlussbericht für unsere Mission schreiben. Da hieß es zum Beispiel: „Sind unsere Erwartungen erfüllt worden?“ Dann: „Was hat mir meine Mission gebracht?“ Am Schluss war das Wichtigste: „Die Empfehlung für Public Affairs Missionare.“ Wir haben geschrieben: „Sie sollten Freude an Büroarbeit haben, am Anlegen von Ordnern, am Lesen von Zeitungen, am Arrangieren und der Gestaltung von Berichten. Sie sollten recht gute Englisch-Kenntnisse haben und in mindesten einer weiteren Fremdsprache nicht total verloren sein. Sie sollten ferner nicht menschenscheu sein und auf andere Leute zugehen. Sie sollten an allen Ereignissen, auf politischer, kirchlicher und kommunaler Ebene interessiert sein. Reisefreudig und selbständig, schlagfertig bei der Beantwortung von Fragen, fließend im Vortrag und gepflegt in ihrem Äußeren sein.“
Das wurde dann nach Amerika geschickt und der Nächste, der Missionare genommen hat, war der Missionspräsident Grand in London. Es war gar nicht so einfach, wir waren eine Woche auf Mission, da hat schon der protestantische Pfarrer in Bad Vilbel uns zu einem Diskussionsabend angefordert. Meinem Mann hat das nichts ausgemacht, aber ich habe schon ein bisschen Angst gehabt. Dann war es ja auch so, man musste auch einen gewissen finanziellen Status haben. Denn sie haben uns irgendwohin geschickt, haben womöglich erst einen Monat später die Tickets bezahlt, oder das Benzin, oder was auch immer. Wenn ich nur diese hart ersparten Groschen habe, kann ich das nicht machen.
Unsere Missionszeit hat für uns in erster Linie bedeutet, dass ich sehr selbstbewusst geworden bin. Ich war als junges Mädchen so schüchtern, das werden sie nicht glauben, oder auch noch als junge Frau. Wenn Besuch gekommen ist, bin ich auf den Dachboden gelaufen und habe mich dort versteckt, damit ich nicht die Leute treffen muss und ich nicht mit denen reden muss. Dann hat die Mission mir auch bessere Sprachkenntnisse gebracht, bessere geografische Kenntnisse, die Nähe zum Herrn und das Erleben von wirklichen Wundern und von Lösungen von Problemen, die man momentan hatte, von denen man dachte, dass es nicht ginge. Es ist alles gegangen. Auch das Beschütztsein, dass es keine Unfälle gab und dass mein Mann auch beim Runterfallen auf der Bühne sich nichts gebrochen hat. All diese Dinge und auch die persönliche Harmonie. Mein Mann sagte vor der Mission, wenn er mit mir achtzehn Monate in einem Raum hausen müsse, würde er das nicht aushalten. Diese Probe hat er nicht bestehen müssen, weil wir viele Räume hatten. Es war in jeder Weise wunderbar und wir denken noch gerne daran zurück. Und mein Zeugnis ist gewachsen.