Markt-Eisenstein, Sudetenland
Ich bin Rosa Rosinski geborene Schmidt; ich wurde am 2.Juni 1927 geboren in Markt-Eisenstein (heutiges Tschechien). Ich war das vierte Kind der Familie Schmidt. Als letztes, somit Jüngstes hatte ich eine schöne Kindheit und wurde mit Liebe erzogen. Mein Vater hieß Josef Schmidt und meine Mutter Rosa Grünbeck.
Im Jahr 1930 zogen wir in das neu erbaute Haus. Und 1933 kam ich in die Schule. Ich besuchte fünf Jahre die Volksschule und dann drei Jahre die „Bürgerschule“ (eine etwas höhere Schule, ich weiß nicht mit welcher jetzigen vergleichbar) Es war eine deutsche Schule, die Tschechen hatten eine eigene Schule. Zu dieser Zeit lebten wir noch unter Tschechischer Herrschaft.
1938 mussten wir flüchten, Die Deutschen (die Nationalsozialisten) wollten das Sudetenland „befreien“. Es drohte Kriegsgebiet zu werden. Wir kamen nach Deutschland und wurden dann weiter transportiert auf die Insel Sylt. Wir hatten nicht mehr mitnehmen können, als was wir am Körper hatten. Die Tschechen sind aus dem Land geflohen und so konnten wir nach einigen Wochen wieder zurückkehren Wir hatten alles wieder vorgefunden bis auf einiges Weniges. Dann 1939 kam der Krieg. Alle jungen Männer wurden zur Wehrmacht eingezogen. Die Lebensmittel wurden knapp. Es gab Lebensmittelmarken. Und dann immer wieder die Nachricht, der oder jener ist gefallen. Ansonsten lief alles seinen gewohnten Gang.
Mein Bruder wurde auch zur Wehrmacht eingezogen. 1941 absolvierte ich mein Pflichtjahr (das musste jedes junge Mädchen), als Hausmädchen bei einer Familie. Die Frau kam gerade aus dem Krankenhaus. Kurze Zeit darauf erkrankte ich auch an Paratyphus. Es stand sehr schlecht um mich aber ich wurde wieder gesund. 1943 hatte ich meine Lehrzeit als Kaufmännische Angestellte angefangen im Büro einer Rollofabrik, die aus Düsseldorf evakuiert wurde nach Eisenstein. Leider konnte ich die Prüfung nicht mehr machen, wegen der Kriegswirren, die nun folgten.
1944 zog meine Schwester mit ihren Kind und Hab und Gut wegen der Bombardierung in Schweinfurt, zu uns. Ihr Mann kämpfte in Afrika.
Im Mai 1945 war endlich der Krieg zu Ende. Für uns wurde es dann ganz schlimm. Die Tschechen kamen hasserfüllt wieder zurück. Sie trieben die Leute aus ihren Häusern, erfanden etwas gegen die Eigentümer, so dass jeder verhaftet werden konnte. Bei uns nistete sich ein Russe ein, den wir auch Miete bezahlen sollten. Es war eine Zeit ständiger Angst, Tag und Nacht. Ich floh nachts über die Grenze nach Deutschland, weil man die jungen Mädchen ins Innere der Tschechei verschleppte.
1946 mussten meine Eltern, meine Schwester und das Kind Edgar die Heimat verlassen. Sie wurden ausgewiesen und kamen ins Lager mit 50 kg Gepäck. (pro Person) In Viehwaggons wurden die Menschen nach Deutschland transportiert. Ich fuhr nach Fürth im Wald und schloss mich den Zug an. Wir wurden durch einige Lager geschleust. Ich beschloss dann nach Zwiesel im Bayrischen Wald – da hatte ich ein Zimmer – zurückzukehren und eine Aufenthalts Genehmigung zu besorgen. Das war nicht so einfach. Ich musste eine Wohnung vorweisen können. So gab ich mein ein Zimmer an. Hier wohnten wir dann alle in 13 qm Raum.
Wir hatten keinen Herd zum kochen. Es fand sich ein Mann, ein ehemaliger Spengler, der sich unser erbarmte und uns aus Blech einen Herd machte. Wir waren dafür sehr dankbar. Ich fuhr dann öfters mit einem alten Fahrrad aufs Land raus, zu den Bauern, und bettelte um Milch, Eier, usw. Wenn ich Glück hatte, bekam ich auch ein bisschen Butter. So heilten wir uns über Wasser.
Ein halbes Jahr später ist dann meine Schwester mit Sohn Edgar nach Schweinfurt zurückgekehrt. Ich begleitete sie, auch wieder in einen Lastwaggon. So waren die Zustände damals. Anfang 1947 kehrte mein Bruder aus der französischen Gefangenschaft zurück. So waren wir zu viert in der Wohnung. Mein Bruder schlief bei meinen Vater und ich bei der Mutter. Erst ein Jahr später bekamen wir dann eine etwas größere Wohnung. Es waren nur zwei Räume, aber wir hatten jeder ein Bett für sich. Das war himmlisch. Etwas später heiratete mein Bruder und bekam eine zwei Zimmerwohnung in einer Baracke. Während dieser Zeit versuchte ich immer Arbeit zubekommen. Ich nahm alles was sich mir bot. Wir brauchten Geld. So arbeitete ich auch in einer Holzdrahtweberei, als Weberin. Durch Fürsprache gelang es mir bei den Farbenglaswerken (Schott)in Zwiesel beschäftigt zu werden.
Irgendwann im Herbst 1947 besuchten uns oft die Zeugen Jehovas. Auch mein Bruder lernte in der Gefangenschaft einen Zeugen Jehovas kennen. Eigentlich waren sie es die uns die Augen öffneten. Dann kamen plötzlich auch Prospekte von den Adventisten aus Heidelberg. Das war Hilde, die spätere Frau von Hans, die unsere Adresse bei denen abgab. Meine Mutter wusste durch eine Tante aus München, dass es da eine Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage gab. Ein Buch Mormon, das sie von der Tante vor Jahren bekam, hatte sie komischerweise in die Aussiedlerkiste mitverpackt. Wir hatten uns dann an die Tante gewandt, deren Adresse wir erst suchen mussten. Es ging nun alles sehr schnell
Am 11.0kt.1947 wurden wir in München in der Isar getauft. Meine Mutter, mein Bruder und ich. Als wir dann wieder nach Zwiesel zurückkamen, haben wir ordnungsgemäß unseren Austritt aus der Katholischen Kirche erklärt. Da Zwiesel ein kleiner Ort und alle katholisch waren, hatte dies sehr schnell herumgesprochen. Ich weiß noch, als ich wieder zur Arbeit ging, hatte eine Kolgein vor mir ausgespukt. Es war nicht so leicht in diesem Kreis zu leben. Wir gehörten zur Gemeinde Landshut 100 Km entfernt. Ohne Auto und auch wenig Geld war es nicht möglich oft dahin zu kommen. Dann 1952kam ich nach Mainz. Die Firma Schott hatte alle ihre Zweigstellen zusammen gezogen und in Mainz ihren Hauptsitz errichtet. Man hat mich gefragt, ob ich mitgehen würde und ich wollte. Sehr zum Leidwesen meiner Mutter. Sie wollte mich absolut nicht weglassen. Es geht wohl allen jüngsten Kindern so.
Ich wohnte hier in Mainz mit 3 Freundinnen zusammen. Wir hatten viel Spaß zusammen, auch wenn wir finanziell nicht gut drauf waren, und sehr sparen mussten. Mit der Zeit machte sich jede selbständig. 1961 starb mein Vater in Zwiesel. Meine Mutter war nun alleine. Ich holte sie übern Winter oft zu mir nach Mainz. Da ich kein Auto hatte, machte das mein Schwager Albert und selten auch mein Bruder. Meine Urlaube verbrachte ich bei ihr in Zwiesel und auch meine Schwester mit Familie fuhren oft zu ihr.
Kurt Rudolf Rosinksi lernte ich kennen im Frühjahr 1970. Er musste beruflich nach Mainz ziehen und kam in die Gemeinde. Hier wurde er als Gemeindepräsident berufen. Am 30.Oktober heirateten wir. Meine Mutter wurde schwer krank. Meine Schwester holte sie zu sich nach Schweinfurt. Das war im Dezember 1970. Am 30. Dezember starb meine Mutter in Schweinfurt. Ich hatte ein sehr inniges Verhältnis mit meiner Mutter. Sie starb genau ein Vierteljahr nach meiner Hochzeit.
Ich war sehr glücklich mit meinen Mann. Wir hatten immer das Gefühl wir waren füreinander bestimmt. Ich arbeitete weiter und Kurt war in der Verwaltung bei der Bereitschaftspolizei tätig. Trotzdem hatte jeder in der Kirche immer ein Amt. Auch der Garten war noch zu versorgen. Es war eine schöne Zeit. Wir strebten aber immer nach etwas eigenen. Dann im Jahr 1987 hatten wir eine Eigentumswohnung gefunden. Wir zogen im Oktober ein. Wir waren Beide sehr stolz, als die Schlüsselübergabe stattfand. Leider währte dieses Glück nicht sehr lange. Drei Jahre gemeinsames Eigentum und 20 wunderbare Jahre.
Am 29. Juli 1990 verstarb mein Mann nach schwerer Krankheit. Mich traf das bis ins Mark. Ich empfand als hätte man die Hälfte von mir genommen. Wie sollte ich weiter Leben? Ich hatte wirklich mit dem Herrn sehr gehadert mit dieser Frage „warum „? Nun sind inzwischen 17 Jahre vergangen. Rückwirkend kann ich sagen, der Herr hat mich gestützt, er hat mich getragen wo ich ihn so dringend gebraucht habe. Auch heute weiß ich, dass der Herr mir beisteht und seine schützende Hand über mich hält. Er gibt mir immer wieder die Kraft mein Alleinsein zu ertragen. Ich bin auch dankbar für die Fähigkeiten die er mir gegeben hat, sodass ich mir in vielen Dingen selber helfen kann.
Ich gehöre jetzt zur Gemeinde Wiesbaden. Die Gemeinden Wiesbaden und Mainz wurden zusammengelegt, sodass ein Gemeindehaus gebaut werden konnte. Nun sind wir eine große Gemeinde. Ich fühle mich sehr wohl und weiß wohin ich gehöre.
So bin ich nun 80 Jahre auf dieser Erde. Meine Schwester und mein Bruder haben mich inzwischen auch verlassen. So bin ich noch die einzig überlebende von dieser Generation. Ich selbst habe keine Kinder. Ich empfinde aber viel Liebe für meine Neffen, ihre Frauen und ihre Kinder. Ich wünsche, dass es ihnen allen gut gehen möge.