Schönlanke, Pommern

mormon deutsch ruth jenny scharnbergMein Name ist Ruth Jenny Scharnberg, geborene Hardel, ich bin geboren am 23.September l922 on Schönlanke [heute Trzcianka] Pommern. Ich bin in der Sonntagsschule groß geworden, denn meine Großmutter war auch schon in der Kirche. Meine Großmutter hieß Therese Hardel. Sie ist am 25.Dezember 1875 geboren. Dadurch bin ich von Baby an Mitglied in der Kirche. Es war während des Krieges, mein Vater (Otto Franz Hardel, geboren am. 24. Oktober 1897 in Schönlanke) ist nach Riga gekommen und meine Mutter (Jenny geborene Müller) ist in Russland, in Moskau, am. 20. Dezember 1900 geboren. Ihre Mutter ist leider sehr früh gestorben. Mit ihrem Vater zusammen ist sie groß geworden und sie waren auch sehr vermögend. Es war damals in Russland so, dass die reichen Leute von den Bolschewiken umgebracht wurden – in der Zeit. Meine Mutter ist dann mit ihrer Freundin ohne Sack und Pack weg. Sie haben sich gesagt, wir müssen irgendwohin, wo wir sicherer sind und können nicht in Moskau bleiben. Sie sind mit dem Güterzug nach Riga gefahren und haben dort die deutschen Truppen gefunden. Da haben sich meine Eltern kennengelernt. Mein Vater hat meine Mutter dann mitgenommen nach Schönlanke. Dort bin ich 1922 geboren. Ende des Krieges, 1919, ist meine Mutter zu meiner Großmutter gekommen, nach Schönlanke.

Ich bin auch in der Kirche gesegnet worden. Wir sind nachher nach Schneidemühl gezogen, wo ich dann auch die Schulentlassungsfeier hatte. Ich war acht Jahre alt war, als wir nach Schneidemühl gezogen sind. Dort bin ich auch in einem See getauft worden von einem Missionar aus Amerika namens Horsley. Meine Jugend war sehr, sehr schön. Wir waren sieben Geschwister: Lehi, Ruth, Hyrum, Sigrid, Waltraud, Nephi und Manfred, das war der Letzte, der kam sieben Jahre später. Ich hatte Geschwister mit Kirchennamen, und ich heiße Ruth, dann habe ich eine Schwester, die heißt Sigrid und eine Schwester, die heißt Waltraud. Wir waren immer 1½ Jahre auseinander außer Manfred, der in Schneidemühl geboren ist.

In Schneidemühl ging es kirchlich weiter wie auch in Schönlanke, dass wir auch Sonntagmorgens in die Sonntagsschule gegangen sind und damals war es auch noch so, dass Abendgottesdienst war. Da sind meine Eltern auch immer abends zur Sonntagsschule gegangen. Es war eine sehr schöne Zeit für uns. Auch schon in Schönlanke, als ich noch Kind war, fand ich es immer schön, wenn wir Sonntagmorgens zur Sonntagsschule gingen. Wir haben dort auch sehr viel gelernt und sind eben auch sehr gläubig durch unsere Eltern erzogen worden und durch Oma auch.

Die Mitgliederzahl in Schneidemühl weiß ich nicht, aber wir waren 30 bestimmt, oder auch 40. Von Geschwister [Friedrich] Birth waren auch – glaube ich – 10 oder 11 Kinder und wir waren damals sechs. Andere waren vier bis fünf. Also, Kinder mäßig war das schon viel. Und dann noch die Erwachsenen dazu.

Bruder Birth mit seiner Familie wohnte in Schneidemühl. Die sind nach Amerika gegangen. Ich habe mit einer Tochter, Ruth war auch eine, die ist nachher gestorben, der älteste Junge ist gefallen und dann war Edith und dann die Nächste, Irmgard, mit ihr habe ich noch telefoniert nach Amerika. Wir haben ein halbes Siedlungshaus gehabt hier in der Innenstadt und sie hatten auch so ein Siedlungshaus am Stadtrand. Wir haben uns Kirchen mäßig immer getroffen. Auch so in der Sonntagsschule und auch privat waren wir viel zusammen, wie Ostern. Bei uns war das immer so: Man hat Birken abgebrochen – wir haben Stippen gesagt – „gibst du mir kein Osterei, dann stipp ich dir dein Hemd entzwei“, so ungefähr. Dann hat Mutti was zu Essen gemacht. Wir waren alle viel zusammen. Da waren die Bienenkorbmädchen und die Ehrenleserinnen und täglich eine gute Tat. Wir hatten auch Bücher, in die wir eingetragen haben. Dann bekamen wir diese kleinen Waben, wenn wir etwas eingetragen haben. Das war auch eine sehr schöne Zeit. Meine Mutter hat am Sonnabend schon Kartoffeln geschält und Essen vorbereitet, damit wir sonntags in die Sonntagsschule gehen konnten. Das war immer eine Stunde Weg. Und es war kalt in Schneidemühl. Der Ostwind war sehr kalt. Aber wir sind immer in die Sonntagsschule gegangen. Jeden Sonntag.

Der Gemeindevorsteher in Schneidemühl war Johannes Kindt, in Schönlanke, das weiß ich nicht. In Schneidemühl haben wir eine sehr schöne Zeit mitgemacht. Wir wurden auch gläubig erzogen, eben Kirchen mäßig. Das hat uns auch ein bisschen, ‚ausgezeichnet‘ will ich nicht gerade sagen, aber wir waren anders. Das ist in der Schule auch aufgefallen. Wir haben ein anderes Benehmen gehabt als viele andere Kinder. Ich kann das gar nicht so erklären. Es war auch so, wir sind immer alle gemeinsam zur Schule gegangen. Auch die Nachbarskinder, alle zusammen. Für uns war es so, schulmäßig brauchten wir keinen Religionsunterricht mitzumachen. Früher war das in der Schule Pflicht, Religion und Deutsch. Wir brauchten aber keinen Religionsunterricht mitmachen. Aber dadurch, dass wir immer alle zusammen losgegangen sind, habe ich gesagt, na ja, da gehe ich auch mit. Ich habe den Unterricht auch mitgemacht. Dann hat der Lehrer gesagt, ich bin besser als die anderen. Man lernt dann das auch. Ich habe auch heute noch, wenn ich zur Kirche gehe, viele Lieder, die ich auch auswendig kann. Es sind viele dazugekommen, es sind auch welche dabei, die umgeschrieben sind, die ein bisschen anders sind als früher. Wir haben auch Theateraufführungen gemacht. Da war ich immer dabei. Das habe ich gerne gemacht. Ich habe eine sehr schöne Jugend gehabt, mit den Eltern zusammen. Wie gesagt, wir haben uns auch viel mit den Kindern von der Kirche getroffen. Wir haben Spiele gemacht. Damals gab es ja noch kein Fernsehen. Radio hatten wir wohl schon. Wir haben viel zusammen gesungen und wir haben auch getanzt. Es war eine schöne Zeit, das muss ich schon sagen.

Dann, nachher, war es natürlich sehr, sehr bitter, als der Krieg kam. Der hat viel kaputt gemacht. Von mir war mein Bruder zuerst eingezogen. Ich war nachher 1941/42 im Arbeitsdienst. Da war ich in Ostpreußen. In Ostpreußen war ich in Deutsch-Eylau [heute Iława in Polen] in Masuren, Westpreußen. Arbeitsdienst war nur ein Jahr in Ostpreußen. Da waren wir beim Bauern. Wir haben viel beim Bauern arbeiten müssen. Ein halbes Jahr Arbeitsdienst, ein halbes Jahr Kriegshilfsdienst, hieß das. 1941 war ich da oben. Ich war in der Nähe von Deutsch-Eylau eingesetzt und dann hieß es, ich soll nach Deutsch-Eylau ins Lazarett. Da habe ich gesagt, ich helfe gerne, aber wenn ich jetzt die Soldaten kommen sehe und die sind verwundet und sie haben Schmerzen, ich kann nicht helfen, das schaffe ich nicht. Das kann ich nicht. Da hat man mir angeboten, dass ich noch einmal ein halbes Jahr in dem Arbeitsdienst bleiben konnte. Da bin ich in die Küche gekommen und habe gekocht und alles in der Küche gemacht. Das war etwas ruhiger.

Ich war noch im Arbeitsdienst, da hatte ich zu Hause schon die Einberufung für die Luftwaffe. Aber ich bin immer angeschrieben worden: Ich muss. Ich bin nie freiwillig gegangen. Also, zu sagen, ich gehe jetzt, nein! Wenn ich muss, kann ich nichts machen. Dann musste ich wohl mit hin. Dort war ich bis Kriegsende. Bei der Luftwaffe war ich in der Gegend von Schneidemühl. Das waren so kleine Dörfer, wo wir eingesetzt waren. Wir haben sehr harten Dienst machen müssen. Das waren hohe Türme, so 18 Meter hoch, da mussten wir die Leitern raufgehen. Es war Winter und bei uns war es sehr kalt. Wir mussten aufpassen, wenn Feindeinflüge kamen, mussten wir das an die Zentrale melden. Das habe ich zuerst gemacht. Nachher bin ich in die Zentrale reingekommen. Da haben wir mit Kopfhörern gesessen und haben die Feindeinflüge, die jetzt wieder von draußen kamen, weitergegeben. Später bin ich noch als Funkerin gegangen. Ich bin dann nach Potsdam bei Berlin gekommen. Da war ich ein halbes Jahr und länger, das ist Ferch bei Potsdam. Da war ein ganz großer Luftangriff, denn in der Nähe war die Autobahn und da standen unsere ganzen Panzer. Das war schon ein bisschen Sabotage. Die hatten angeblich kein Benzin und die haben alle auf der Autobahn gestanden. Da war ein Großangriff. Wir haben natürlich auch ein bisschen mitgekriegt. Wir mussten Löcher buddeln und dort rein. Nachher waren wir schwarz von dem Qualm, der rüber kam. Das war schon der Anfang vom Schlimmsten.

In dieser Zeit bin ich in der Gemeinde wenig gewesen, weil ich ja eingezogen war. Da konnte man nur immer im Urlaub nach Hause fahren. Wenn wir in Urlaub gerade an einem Sonntag waren, dann bin ich auch zur Gemeinde mitgegangen. Mein Vater war nachher auch eingezogen. Der war beim Zoll bei Litzmannstadt. Meine Mutter war alleine zu Hause. Zwei Brüder waren im Krieg und zwei Schwestern waren auch im Arbeitsdienst. Also, wir waren praktisch alle ein bisschen auseinander. Meine Mutter war nur mit den beiden Jüngsten zu Hause. Als ich da bei Potsdam war, ging es los, dass die Russen immer dichter kamen.

Mein Vater war in Litzmannstadt beim Zoll, das war ein bisschen mit dem Finanzamt identisch. Meine Mutter wohnte in Schneidemühl. Da haben die gesagt, wir fahren jetzt von hier weg nach Schneidemühl, nehmen unsere Familien mit und dann sehen wir zu, dass wir in den Westen kommen. Das haben sie auch gedacht, dass sie das können und wie sie so losfahren, kam der Russe. Da konnten sie in Schneidemühl gar nicht rein. Sie mussten hier unten rum und so ist mein Vater beim Zoll in Hamburg gelandet. Meine Mutter hat alleine gewohnt und da kamen die Russen immer dichter. In der Nähe, wo wir gewohnt haben, war ein Gefangenenlager mit Franzosen und auch mit Russen. Da sind auch die Frauen gekommen und haben die Wachmänner besucht. Da hat meine Mutter, weil wir alle weg waren, ein Zimmer zur Verfügung gestellt, dass die Frauen einmal dort wohnen durften, die ihre Männer besucht haben, die waren von Berlin. Aber als sie nachher alle weg mussten, das ging sehr schnell.

Ich war ja gar nicht mehr da, ich war ja schon Richtung Berlin. Meine Mutter hat erzählt, dass die Wachleute gekommen sind, haben angeklopft und gesagt: „So Frau Hardel, schnell fertigmachen, packen sie ein, was sie können, wir müssen weg“. Die gefangenen Leute hatten Pferd und Wagen. Da hat meine Mutter natürlich eingepackt für den, für den, für den, dass – wenn wir uns einmal treffen – wir auch Sachen haben. Sie hat Betten mitgenommen. Es war im Januar, es war sehr kalt. Mein einer Bruder ist 1935 geboren. Da kann man sich vorstellen, wie das ist, wenn die flüchten. 1941, ich glaube, er ging noch nicht zur Schule. Meine Mutter konnte auf dem Wagen mit den Kindern sitzen. Sie hat Federbetten mitgenommen, damit sie die Kinder hat einwickeln können, weil es sehr kalt war. Unterwegs ist sehr viel passiert.

Der Wagen war von den Gefangenen. Aber die Bewachung hat ihn mehr oder weniger gebraucht. Wenn die gearbeitet haben, sind sie damit gefahren. Das Gefangenenlager war in Schneidemühl. Als mein Vater weg war, hat meine Mutter auch einmal von diesen Wachleuten einen Franzosen bekommen, der ihr geholfen hat, im Garten zu arbeiten. Von den Russen war keiner da. Meine Mutter hat erzählt, als sie da waren und sie sind weggefahren, ziemlich zum Schluss, gingen die Gefangenen, die Franzosen, dann die Russen und jetzt kam der Pferdewagen. Die saßen rückwärts. Die Pferde ziehen, da und die Leute saßen, meine Mutter mit den Kindern, am Ende und auch mit dem Gesicht hier, und hier gingen die Russen. Die haben natürlich viel erzählt. Meine Mutter hat aber nicht zu verstehen gegeben, dass sie das alles verstanden hat. Weil sie aus Russland kam, konnte sie das. Die haben ja nur Angst gehabt, dass da was passiert.

Dann sind sie nach Stargard gekommen. Nachher sind sie auch noch im Zug gefahren. Dann hat sich das alles irgendwo aufgelöst. Aber sie hat nie etwas von meinem Vater gehört und auch von uns Kindern nichts. Ich war noch oben bei der Luftwaffe. Meine Mutter wusste schon, wo wir waren. Mein Bruder war in Russland auch im Krieg und Hyrum – glaube ich – war auch schon weg. Meine zwei Schwestern waren in Sachsen. Eine war im Arbeitsdienst und eine war auch noch da. Bloß meine Mutter war mit den beiden Kleinen alleine. Dann sind sie hier in die Nähe von Geesthacht gekommen, der Ort heißt Hamwarde. Da ist meine Mutter gelandet. Die Leute, die hier wohnten, die haben für die Flüchtlinge kein Verständnis aufgebracht.

Weil sie nicht wusste, wohin, es hat, sich ja keiner gekümmert, hat meine Mutter mit den beiden Kindern im Kalten, im Wald gewohnt, hat sie uns erzählt. Im Wald mit den Decken abgedeckt. Sie haben ein paar Dosen gehabt, die haben sie aufgemacht, dass sie etwas zu Essen hatten. Die Kinder sind auch mal losgegangen zum Bauern und haben um Brot gebettelt. Das war eine ganz schlimme Zeit.

In der Nähe war eine Frau, ihr Mann – glaube ich – war Förster. Da haben sie erzählt, dass da eine Frau mit zwei Kindern im Wald ist. Die können wir doch da nicht lassen. Meine Mutter ist mit den Kindern zu dieser Frau Jährling hin und haben im Pferdestall gewohnt. Das war ein bisschen wärmer. Sie hat ihr auch zu Essen gegeben. Nachher ist sie zu einer anderen Familie gekommen, wo sie wohnen konnte. Aber die waren alle: „ja keine Flüchtlinge“. Das waren in ihren Augen Aussätzige, ich weiß es nicht, aber so ungefähr. Da hat meine Mutter gewohnt. Sie hat immer geholfen und hat gemacht. Meine Mutter hat, das habe ich ja schon gesagt, allerlei Sachen mitgenommen. Sie hat auch, weil sie gerne für uns Kinder viel gewaschen hat, Persil (Waschmittel) mitgenommen. Sie hat dann einmal für sich und für die Kinder gewaschen, und die Frau, die da wohnt, die ihr Haus hat und alles, die kam dann an: „Och, sie haben Persil, dann können sie meine Wäsche gleich mitwaschen“. So waren die Leute da.

Oben im Ort ist eine Baracke gewesen. Da waren früher gefangene Russen drin. Dann haben sie gesagt, die kommen alle weg und die Baracke wird frei. Ob meine Mutter dahin ziehen würde. Dann ist sie ja alleine, auch wenn sie in einer Baracke wohnt. Ein Ofen ist auch da. Sie hat gesagt, na ja, wenn da Wanzen drin sind, dann gehe ich nicht hin, die kriegst du nicht weg. Aber wenn da Flöhe sind, dann mache ich das schon, mit Sagrotan und alles. Meine Mutter hat es so gemacht, bis alles sauber war. Sie hat dann da mit den Kindern gewohnt. Schräg gegenüber war die Mühle vom Ort. Die Frau hat ihr auch geholfen. Sie hat Sachen gebracht und da konnten sie auch mal essen.

Ich bin dann in Berlin gelandet. Wir waren in Klein-Brandenburg. Das war ein Ort. Da waren wir noch eingesetzt, nachdem wir von Potsdam weg waren. Da war ich immer noch bei der Luftwaffe. In diesem kleinen Ort waren wir eingesetzt. Jetzt kamen die Russen, hatte ich schon gesagt, nicht von hier, da kamen sie auch von da, und wir konnten nicht mehr weg. Jetzt saßen wir da auf der Wache. Wir waren noch mit Dreien. Die waren schon vorher irgendwo weggegangen. Zwei Männer waren noch da und wir waren noch zwei Mädchen. Mit einem Mal klopfte es – und die Russen standen vor der Tür. Die Männer haben sie gleich mitgenommen und uns ging es ganz schlecht. Wir trugen Uniform, wir hatten nichts weiter, wir waren ja geflüchtet. Was uns bei den Russen passierte, was ganz furchtbar. Eine schlimme Zeit. Heute noch bin ich dem Vater im Himmel dankbar, dass ich nicht krank und auch nicht schwanger geworden bin.

Da war ein Offizier, der hat dann endlich gesagt, wir können weg. Der hat uns Geld gegeben und dann sind wir auch zum nächsten Ort gegangen. Da haben wir von weitem Menschen gesehen. Hinter uns haben sie geschossen. Wir sind immer wieder runter auf die Felder, damit wir nicht getroffen werden. Dann waren wir in dem Ort, weil wir angenommen haben, dass die Deutschen dort waren. Aber das war auch wieder nicht der Fall. Da war auch eine Bahn und wir sind nach Berlin gefahren, wo dieses Mädchen, mit dem ich zusammen war, gewohnt hat. Aber die hatten ja auch nichts zu essen. Wir sind zu den Eltern meiner Freundin gegangen, dem Mädchen, mit dem ich zusammen war, durch dick und dünn sind wir gegangen. Aber da gab es auch nichts zu essen.

Damals, als ich noch bei uns im Geschäft war – ich habe Verkäuferin gelernt – da kamen auch immer Soldaten. Wir hatten nebenbei noch eine Reinigung im Geschäft, aber damit hatte ich nichts zu tun. Hier war Verkauf und da war die Reinigung. Die haben immer die Uniformen zum Reinigen gebracht. Da war auch ein Soldat dabei, in den ich mich verliebt habe. Jedenfalls wohnte er in Bremen. Ich wusste nachher auch nicht wohin, ich wusste nicht, wo meine Eltern waren, wo meine Geschwister waren, wir wussten ja von gar keinem. In Berlin konnte ich auch nicht bleiben, weil die auch nichts zu Essen hatten. Da habe ich gesagt, ich fahre nach Bremen und da bin ich zu dem Bekannten gegangen. Dann habe ich mir gesagt, was ich jetzt mache, ich wende mich an das Rote Kreuz. Und ich werde immer wieder schreiben. Damals haben die versucht, Leute ausfindig zu machen. Von Soldaten, die Eltern, oder auch als wir Mädchen waren, wo sind die Eltern abgeblieben. In Bremen habe ich Post vom Roten Kreuz bekommen, dass meine Mutter und angeblich auch ein Bruder von mir, Lehi, der Älteste, eben hier in dem Dorf, in Hamwarde, gelandet ist, in dieser Baracke, wie ich eben erzählt habe.

Was habe ich gemacht: Auf Wiedersehen, ich fahre jetzt zu meiner Mutter. Von Hamburg fuhr noch gar kein Zug, da musste ich sechs Stunden zu Fuß gehen, damit ich zu meiner Mutter hinkam. Ich kam in den Ort rein. Nun wusste ich aber nicht genau, wo meine Mutter dort war. Hier vorne ist ein Gasthof. Da bin ich reingegangen und habe zu der Frau gesagt: „Ich bin die Tochter von Frau Hardel, die soll hier im Ort sein“. „Ach, sie sind die Tochter. Und ihre Mutter hat schon gedacht, wo sind sie abgeblieben“. Sie wusste, ich war bei der Luftwaffe. „Da müssen sie hier raufgehen, da oben ist eine Baracke, da ist ihre Mutter jetzt drin und ein Bruder von ihnen ist auch hier. Der arbeitet hier drüben beim Bauern“. (Das war Lehi.) die anderen Beiden waren die Jüngsten, die da oben waren. Ich bin dann raufgegangen. Bei der Baracke ging die Tür auf und meine Mutter kommt raus – in dem Ofen ist ja Asche unten drin, wenn man mit Kohle heizt – und sie wollte die Asche rausbringen. Da stehe ich vor ihr. Sie wusste gar nichts. Das Rote Kreuz hatte an meine Mutter noch nicht geschrieben, dass ich sie suche. Ich sehe meine Mutter noch stehen. Ich habe gedacht, sie kippt um. Sie war so fertig, dass ich mit einem Mal dastand. Ich bin dann rein und wir haben erzählt. Meine Mutter war froh, dass ich da war.

Die andern beiden Mädchen waren in Sachsen. Die haben sich an die Kirche gewandt. Sie haben auch immer rumgehorcht. Mein Vater ist inzwischen in Hamburg gelandet beim Finanzamt. Die wussten aber auch nichts voneinander. Meine Mutter wohnte da und mein Vater wohnte da. Das ist gar nicht weit auseinander. Meine beiden Schwestern, Waltraud und Sigrid, haben erfahren, dass mein Vater in Hamburg ist. Dann hat meine Mutter erfahren, dass ihr Mann, also mein Vater, in Hamburg ist.

Lehi hat beim Bauern gearbeitet. Ich habe ja gesagt, die Leute im Dorf waren so eingestellt: „Ja, keine Flüchtlinge“. Er hat immer vom Bauern wieder ein bisschen Brot mitgebracht und so, also haben sie uns nicht viel geholfen außer ein paar Kartoffeln, die ihm der Bauer für uns mitgegeben hat. Sonntagmorgens war keine Gemeinde und da kamen wir auch nicht nach Hamburg, dass wir da zur Kirche gehen konnten. Mein Vater war da, das ist schon richtig. Aber wir konnten da ja gar nicht hin.

Ich war 22 Jahre alt und bin von einem Bauern zum anderen gegangen und habe um eine Kartoffel gebettelt. Wir hatten keine Kartoffeln. Wo kriegten wir welche her? Da gab’s ja gar nichts. Die Mühle ja. Davon habe ich schon erzählt, dass die auch meiner Mutter einmal geholfen haben. Da gab es diese großen Bohnen. Wir waren froh, dass wir etwas zu Essen hatten. Ich bin vielleicht durch das ganze Dorf gegangen und bin mit drei Kartoffeln nach Hause gekommen. Das war das Dorf. Dann habe ich bei meiner Mutter gewohnt und musste mir auch Arbeit suchen. Eine Firma war da, die uns mit dem Wagen abgeholt haben, und wir haben Rhabarber gezogen, damit das alles zum Markt hinkam. Da habe ich gearbeitet und immer schwarze Hände gehabt.

Meine Mutter hat erzählt, dass die Engländer ins Dorf reinkamen. Da, wo meine Mutter einmal gewohnt hat, gingen viele Frauen den Engländern mit Essen entgegen. Sie sagte, eine war da, die hatte Eier. Da hat ein Engländer drauf gehauen, der war wütend. Warum weiß ich nicht, aber vielleicht hat sich das rumgesprochen, dass sie den Deutschen nicht helfen und da wollten sie sich „Liebkind“ machen, oder was weiß ich.

Mein Vater ist auch ein paar Mal hingekommen. Meine Mutter hat ja noch da gewohnt. Mein Vater hat mit einem Kollegen von der Arbeit zusammengewohnt. Die haben am Finanzamt gearbeitet. Weil mein Vater wusste, dass meine Mutter da war, ist er auch nach Hamwarde gekommen. Zwischenzeitlich haben sie versucht, in Hamburg eine Wohnung zu bekommen. Das ist nachher auch passiert.

Ich habe hier bei meiner Mutter gewohnt und mein Mann wohnte schräg gegenüber. Als es Sommer war und schön warm, eine Wiese war daneben – heute ist das alles weg und alles anders – dann habe ich meinen Badeanzug angezogen und bin raus auf die Wiese und habe mich in die Sonne gelegt. Ich habe aber nie gewusst, dass mich einer beobachtet. Mein jetziger Mann hat dann nur zu seiner Mutter gesagt: „O, wer ist das denn, die habe ich hier noch nie gesehen“. Das war’s dann auch. Nun war das im Dorf so, dass da immer noch Tanz war. Meinen Mann habe ich beim Tanzen kennengelernt. Wir hatten uns vorher nie gesehen. Er konnte gut tanzen und ich auch und so war es wohl „Liebe auf den ersten Blick“. Mein Mann wohnte schon in Hamburg und hat auch dort gearbeitet. Auf dem Lande sah es zur damaligen Zeit mit Arbeit schlecht aus. Wir haben am 8. März 1947 geheiratet und dann bin ich auch zu meinem Mann nach Hamburg gezogen. Wir haben zwei Kinder: ein Mädchen und einen Jungen. Beide sind an einem 10. Dezember geboren, beziehungsweise 1947 und 1954.

Ich habe gerne getanzt, ich habe auch sehr gerne mit meinem Vater getanzt. Der hat mir Walzer, linksrum, und alles beigebracht. Wir haben uns in der Gemeinde auch, wie Silvester, zusammengetroffen und haben natürlich auch ein bisschen gefeiert und auch getanzt. Wir hatten einen schönen Raum, wo wir das auch machen konnten. Tanzen habe ich richtig bei meinem Vater gelernt. Mein Bruder Hyrum Hardel war lange in Berlin (beim Militär) dann in Thüringen und ist später auch nach Hamburg gekommen. Meine beiden Schwestern, Sigrid und Waltraut, waren in Sachsen aber sie kamen auch nach Hamburg und so waren wir alle in Hamburg wieder vereint. Mit den Geschwistern der Kirche haben wir uns dann auch in der Hamburger Gemeinde getroffen, weil meine Eltern auch dafür waren, dass wir die Kirche behalten.