Schneidemühl, Pommern

mormon deutsch esther verginMein Name ist Esther Vergin, geborene Rieve. Ich bin in Schneidemühl 1926 geboren; Schneidemühl liegt in dem nordwestlichen Teil von dem heutigen Polen und heißt nunmehr Pila.

Mein Vater hieß Richard Rieve und meine Mutter Anna Rieve, geborene Zadel. Sie waren schon beide Mitglieder, als ich geboren wurde. Ich bin in Schneidemühl aufgewachsen bis zum 15. Lebensjahr. Dann mussten wir ein Pflichtjahr bei einem Landwirt machen, was damals so üblich war. Ich konnte dieses Jahr bei meinen Großeltern absolvieren, weil mein Onkel im Militärdienst war, so durfte ich bei meinen Verwandten dieses Pflichtjahr machen. Und dann habe ich gelernt als Verkäuferin in einem Kaufhaus in Schneidemühl.

Nach meiner dreijährlichen Lehrzeit musste ich eine Prüfung machen, und die habe ich dann bestanden und ich wurde zum Arbeitsdienst eingezogen. Das war im 18. Lebensjahr. Und als der Krieg am 8. April 1945 zu Ende war, da war ich noch in Berlin und zwar im Kriegshilfsdienst. Nach der Arbeitsdienstzeit mussten wir ein halbes Jahr Kriegshilfsdienst machen und zwar in Liebenwalde bei Berlin in einer Munitionsfabrik. Da musste ich arbeiten an Zündern, die für Handgranate gemacht wurden.

Inzwischen aber waren meine Eltern von Schneidemühl geflüchtet und das war am Ende, ungefähr am 27. Januar. Denn Januar 1945 kam der Russe nach Schneidemühl und meine Eltern mussten flüchten. Mein Vater war an der Post angestellt; er musste das Postauto mit den ganzen Wertgegenständen nach Strahlsund fahren. Und meine Mutter, mit drei kleinen Kindern, musste versuchen mit dem Zug mitzukommen. So mein Vater brachte meine Mutter zum Bahnhof und da sagte zu seinem Vorgesetzten, „ich fahre nicht weiter, bis ich meine Familie mitnehmen darf“. Und das konnte er. So sind sie nach Strahlsund geflüchtet.

Und am Anfang April war ich doch in Berlin und die Russen standen kurz vor der Stadt. Weil ich wusste, wo meine Eltern waren, konnte ich entlassen werden und ich durfte nach Strahlsund. Ungefähr zwei Wochen später kamen die Russen auch nach Strahlsund rein. Das war eine etwas sehr schlimme Zeit. Das Gute war, dass meine Eltern eine Dachwohnung hatten, und sie hatten in der Decke eine Lücke und da konnten ich und meine Schwester mit der Leiter hochklettern und uns dort verstecken. Und wir haben die Leiter hoch gezogen, so war es nicht zu sehen, dass oben eine Lücke war. Denn in der ganzen Nachbarschaft wurden fast alle Frauen vergewaltigt. So waren wir dadurch gerettet.

Der Krieg war zu Ende am 8. Mai. Am Ende Mai hatte der Russe in Strahlsund angeordnet, alle Flüchtlinge mussten wieder zurück in ihre Heimatstadt. Und so wurden wir in große Züge verladen und wurden dann Ende Mai alle nach Schneidemühl. Natürlich war die Stadt fast kaputt und die Russen und Polen waren dort. Wir mussten für die Russen arbeiten auch im Felde. Am Tage waren wir gesichert, weil die Russen uns beaufsichtigt haben; und sie haben uns nichts getan. Aber abends mussten wir uns verstecken; denn gingen sie all in die Häuser und haben die Frauen vergewaltigt.

Aber nach ungefähr zwei und halb Monaten, im August, haben uns die Russen wieder rausgeworfen. Wir hatten große Schwierigkeiten mit den Zügen mitzukommen. Sie haben uns bis zwei oder drei Stationen gebracht, und dann haben sie uns wieder rausgeworfen in Landsberg. Und dort auf dem Bahnhof, da war es zu Ende. Aber trotzdem war noch viel Drunter und Drüber. Da kamen zwei polnische Offiziere und haben mich und meine Schwester mitgenommen. Und meine Mutter hat so gebettelt, dass sie uns doch lassen sollten, denn jeden Moment konnte der Zug kommen, und wir konnten wegfahren und so wurden sie uns vermissen. Aber sie nahmen uns mit und gingen durch die kaputte Stadt und dann kamen sie an ein Haus, wo sie mit uns reingingen. Und dann haben sie uns in eine Wohnung genommen und sind über den Flur gegangen haben dort geklingelt und da kam ein anderer Offizier scheinbar raus; wir konnten es nur hören, denn wir haben nichts gesehen. Aber sie haben laut eingesprochen und dann kamen die zwei Offiziere zurück wieder und haben uns zum Bahnhof gebracht. So konnten wir sehen, dass wir ganz beschützt waren. Denn wir haben während der Zeit ganz gebetet und unsere Eltern auf dem Bahnhof auch. Und wir kamen unversehrt wieder auf den Bahnhof an.

Dann haben sie uns wieder weiter genommen, noch eine Station ausgeworfen. Da waren auch Probleme. Da kam ein Russe und der sagte zu mir, ich sollte mit ihm mitkommen. Da sagte ich, „nein“. Da sagte er, „bist du krank“? „Ja“, sagte ich, „ich bin krank“. Er sagte, „ich auch, ganz egal, komm mit“. Da bin ich weggelaufen und er hat mich gesucht fast den halben Tag. Die Leute haben mich unter eine Decke gesetzt und die Decke drüber mich gemacht, so dass er mich nicht sehen konnte. Er hat mich gesucht, aber nicht gefunden.

Abends kam dann ein Militärzug, der uns mitgenommen hat nach Berlin. Und dann waren wir endlich wieder frei. Wir kamen dann in ein Umsiedlerlager in Berlin. Von dort aus wurden wir nach Burg in ein anderes Umsiedlerlager. In Burg war keine Gemeinde. Mein Vater versuchte auszufinden, wo die nächste Gemeinde war. Dann fand er raus, dass in Magdeburg eine alte Schwester Braunsdorf mit ihrer Tochter war. Die hat er besucht und mit ihnen gesprochen und die haben uns dann eingeladen und wir haben in ihrer Küche haben wir eine kleine Hausversammlung gemacht. Andere Geschwister sind dann auch gekommen, die auch in Richtung Magdeburg geflüchtet waren. Und in der Umgebung fanden auch etliche andere rein und so hatten wir eine ganz kleine Gruppe, wo wir sonntags immer zu dieser alten Schwester gingen und Versammlungen gemacht haben.

Und dann, nach einiger Zeit, der Mann von dieser jungen Frau wurde aus der Gefangenschaft entlassen und er wurde dann der Gemeindepräsident. Es war Heinz Hampel. Er übernahm die kleine Gemeinde; inzwischen waren wir vielleicht 25 Personen. Und dann nach einer Weile, wanderten Bruder Hampel und seine Frau nach Amerika aus.

In Burg, da habe ich meinen Mann kennengelernt im Umsiedlerlager. Er kam von der Gefangenschaft nach Hause, er war in englischer Gefangenschaft und musste ins Lager. Ich habe ihn öfters mitgenommen zu den Versammlungen nach Magdeburg. Ich habe immer gedacht, na, ja was wird er denken. Dort ist eine Gemeinde und die wird in der Küche abgehalten aber er kam immer mit. Wir haben geheiratet, aber vorher wurde er Mitglied. Wir sind dann zur Konferenz nach Berlin oder nach Leipzig gefahren und so hat er die Kirche besser kennengelernt.

Und dann ist mein Mann von der Arbeit versetzt worden nach Schwerin. Dort haben wir fünf Jahre gewohnt. Wir haben uns dann bemüht mit den Geschwistern Hampel Verbindung aufzunehmen. Und sie schrieben uns, wir sollten auch rüberkommen und sie würden für uns bürgen.

Unsere Missionspräsident, Henry Burkhardt – Missionspräsident von der DDR, hat uns geholfen nach Berlin zu gehen. Und Bruder Walter Krause hat mitgeholfen, dass wir über die Grenze kamen ins Westsektor. Von dort aus sind wir geflogen nach Nürnberg. Und in Gelsheim haben wir etliche Monate gewohnt. Von dort aus sind wir nach Amerika ausgewandert. Wir kamen hier in den Vereinigten Staaten Ende Februar 1962. Hier haben wir beide eine Mission in der Berliner Mission von 1995 zu 1995 erfüllt. Wir dienten in Eisenhüttenstadt.