Freiberg, Sachsen

Mormon Deutsch Frank Herbert ApelMein Name ist Frank Herbert Apel. Am 06. Februar 1940 wurde ich in Freiberg Sa. geboren. Leider hat mein Vater, Max, Herbert Apel, mich nie gesehen, es sei denn dass er mir in der Geisterwelt begegnete, denn er gehörte zu den ersten Opfern des 2. Weltkrieges. Er fiel schon im September 1939 in Polen. Ein Schuss in den Hals hatte sein Leben beendet. Nun stand meine Mutter alleine da und musste mich aufziehen – eine nicht kleine Herausforderung.

Acht Jahre war ich alt als ich in einem Teich in Freiberg getauft wurde. Missionspräsident Walter Stover schickte mir damals einen Brief, der mir viel bedeutet und der sich immer noch in meinem Besitz befindet.

Mutter lernte einen inaktiven Bruder kennen und heiratete ihn in der Hoffnung, dass sie ihn wieder zur Mitarbeit in der Kirche bewegen könnte. Daraus wurde nichts, leider war es eher umgekehrt. Mein Stiefvater rauchte und gehörte zu den Biertrinkern. Doch meine Großmutter Martha Erhard ermahnte mich nicht vergeblich, die Kirche zu besuchen. Als ich jedoch sechzehn geworden war, hielt ich mich mehr und mehr zu meinen Freunden aller Nichtmitglieder, denn unsere Gemeinde war klein und nicht so wichtig für mich. Das blieb so, bis ich ein Mädchen sah, das mir gefiel. Um mich mit ihr anzufreunden musste ich wieder regelmäßig die Versammlungen besuchen. Sie war der große Beweggrund, meine Aufgabe als aaronscher Priestertumsträger zu erfüllen.

Sie ging auf Mission. Was nun? Kurt Baumgart ihr Vater, Sonntagschulleiter für die Mission Ostdeutschland, lenkte den Blick des damaligen Missionspräsidenten Henry Burkhardt auf mich. Henry Burkhardt sprach mich eines Tages an und ich stimmte sofort seinem Vorschlag zu, ebenfalls eine Mission zu erfüllen. Inzwischen schrieben wir das Jahr 1959. Ich zählte nun zu den 20 Missionaren unseres Bereiches. Gera war mein erstes Arbeitsfeld, mein zweites Rathenow. Wegen der Nähe zu Westberlin und weil das damals noch erlaubt war, brachten wir die Tage zwischen Donnerstag und Samstag in der Großstadt zu. Dort unter Leitung von Elder Percy K. Fetzer sammelten wir Erfahrungen in der Missionsarbeit, denn das von ‚Tür zu Tür’ zu gehen war im Osten nicht gestattet. Dennoch haben mein Mitarbeiter Erich Ortlieb und ich das eigentlich Unerlaubte in Stendal versucht. Man nahm uns, folgerichtig, mitten bei der Arbeit fest. Es sah nicht gut für uns aus, denn immerhin sah die Sicherheitspolizei der DDR in uns die Repräsentanten einer amerikanischen Kirche. Wir wurden, zum Glück, nur aus dem Ort gewiesen.

Danach arbeiteten wir im Berliner Havelraum. In der dortigen Gartensiedlung verteilten wir zehn Bücher Mormon, gaben jeweils eine kleine Lektion und teilten den guten Leuten mit, dass wir wiederkämen. Als wir dann zurückkehrten, wurden wir gleich im ersten Haus gewarnt: „An der nächsten Ecke warten sie schon auf euch!“ Wir bedauerten nur, dass wir unsere zehn Bücher Mormon verloren hatten. Wegen dieses Vorfalls wurden wir, von unserem Vorgesetzten, Bruder Burkhardt, zur Unterstützung der kleinen Gemeinden des Landes Mecklenburg/Vorpommern in den Norden geschickt. Wir fanden ein provisorisches Zuhause in Wolgast, wo Walter Krause (der damalige Zweigpräsident) an die als Versammlungshaus dienende Baracke kleine Räume angebaut hatte. Ich muss sagen, dass es insgesamt gesehen eine schöne Zeit gewesen war, die wir dort erleben durften.

Ostern 1962 wurde ich entlassen. Meine Freundin allerdings, durch die ich wieder zur Kirche zurückgefunden hatte, war in der Zwischenzeit nicht nur heimgekehrt sondern mit ihrer Familie in die USA ausgewandert. Ich muss bekennen, wenn ich mich nicht in die liebe Schwester verliebt hätte, wäre ich wahrscheinlich einen anderen Weg gegangen. Sie hatte mich angespornt. Doch während meiner Mission erlangte ich selbst ein Zeugnis von der Wahrheit und Echtheit des durch unseren großen Propheten Joseph Smith wiederhergestellten Evangeliums Jesu Christi, und darin erblicke ich die Hand des Herrn. Es gab andere entscheidende Erlebnisse die mich die Liebe Gottes spüren ließen.

Daheim angekommen schreckte es mich ab, meinen rauchenden und Biertrinkenden Stiefvater zu sehen. Mit jedem neuen Tag wuchs mein Wunsch selbständig zu werden. Ich wollte mein weiteres Leben in einer glücklichen HLT Familie führen, die sich an Idealen erfreut. Mit meinem Motorrad wollte ich nun überall hinfahren, wo ich junge, glaubenstreue und hübsche Schwestern gesehen hatte. Mein erster Anlaufpunkt war Wolgast. Da gab es eine Helga Skibbe. Weiter bin ich nicht gekommen.

Nur knapp eine Woche brauchte ich um ihr einen Heiratsantrag zu machen und, da wir beide Leute schneller Entschlüsse sind, haben wir 30 Tage später geheiratet. Ich nahm sie mit nach Freiberg wo ich als Kfz-Elektriker Arbeit gefunden hatte. Gut, dass wir nicht lange gewartet haben, denn bald darauf verabschiedete die von uns allen ungeliebte DDR Regierung ein Gesetz zur allgemeinen Wehrpflicht. Ich gehörte zu den ersten die eingezogen wurden. Schweren Herzens musste ich meine liebe Helga für anderthalb Jahre zurücklassen, während sie mich in der Armee festhielten und mich in verschiedene Orte schickten, nur nicht nach Hause.

Aber auch hier gab es Fügungen. In Dresden wurde ich als Funker einer Nachrichtenabteilung ausgebildet, ebendort wo sich damals das Missionsbüro befand. Dadurch traf ich Henry Burkhardt oft und das half mir. Auch diese Zeit brachte ich endlich hinter mich. Jemand sprach mich an und sagte, ich sollte mich zum Lehrer ausbilden lassen. Mir gefiel dieser Gedanke, dennoch suchte ich den Rat meines Missionspräsidenten. Elder Burkhardt riet mir ab: “Bruder Apel, in einem kommunistischen System sollten Sie nicht als Lehrer dienen. Werden Sie nicht zum Erfüllungsgehilfen dieses Staates; er will Sie zwingen etwas gegen ihren eigenen freien Willen zu verkünden.“ Er riet mir, mich in meinem Beruf zu vervollkommnen.

Ich tat, was er mir riet, wurde Meister und machte mich nun auch beruflich selbständig, indem ich eine kleine Werkstatt aufmachte. Der Beginn sah mir ähnlich, nur mit einem Schraubendreher in Hand habe ich auf den ersten Kunden gewartet. Doch von Jahr zu Jahr wurde es besser. Manche Leute lachen heute noch, wenn sie sich vorstellen, dass ich bis in die späten 60er Jahren mit einem Opel P4 durch die schöne Landschaft Ostdeutschlands gefahren bin, denn der Wagen sah aus wie eine hochherrschaftliche Kutsche des Mittelalters, ein richtiger viereckiger Kasten, der stöhnte und klapperte und der doch vorwärts kam. Wer hätte damals geahnt, dass ich zwanzig Jahre später, 1990, ein hochmodernes Autohaus eröffnen würde? (Wir vertraten nun die Firma Nissan und noch später sogar Mercedes)

Es war allerdings ein langer Weg bis dahin, und nie können wir sagen: jetzt haben wir es geschafft. Ständig stehen neue Herausforderungen vor der Tür, die bewältigt werden wollen. Eine der großen Aufgaben war auf mich zugekommen, indem ich im Alter von 28 Jahren berufen wurde als Gemeindepräsident in Freiberg zu dienen. Denn es handelte sich um eine verhältnismäßig große Gemeinde. (Sie besteht seit 1896.) Elf Jahre lang bemühte ich mich diese, meine Sache gut zu machen. Dann beriefen mich die leitenden Brüder in die Distriktpräsidentschaft. Zu dieser Zeit trat der Schweizer Hans B. Ringer als Regionalrepräsentant für mich in Erscheinung, indem er mich als Exekutivsekretär zu Präsident Burkhardt berief. Einiges kam mir geheimnisvoll vor. Es schien so, als stünden uns größere Ereignisse bevor. Dann lüftete der Regionalrepräsentant den Schleier: „Bruder Apel, wissen Sie wo der nächste Tempel gebaut wird?“ Er schaute mich schmunzelnd an und beantwortete seine Frage selbst: „In Freiberg!“ Die Überraschung war perfekt.

Von diesem Augenblick an trachtete ich danach, irgendwo ein kleines Haus zu kaufen. 1982 suchte ich eine Frau auf, deren Eigenheim in Tempelnähe lag. Doch sie bedauerte, sie habe schon verkauft.

Ein Jahr später kam Elder Monson nach Freiberg. Er berief mich zum Pfahlpräsidenten und gründete zu fast jedermanns Erstaunen den ersten Pfahl in der DDR. An diesem Samstagabend erfuhr ich mehr Wichtiges. Über 1000 Mitglieder besuchten die Sonntangsversammlung in Dresden. Bewegt fuhr ich heim. Dort erwartete mich eine andere Überraschung, nämlich die Nachricht, dass die alte Dame die angeblich ihr Haus bereits verkauft hatte, mich zu sehen wünschte. Helga und ich suchten sie am folgenden Tag auf: „Ihr seid mir nicht aus dem Kopf gekommen!“ sagte sie zur Begrüßung. Mit den anderen Käufern sei sie nicht einig geworden. Und immerhin sei sie schon sechsundsiebzig. Sie fügte hinzu: „Ich möchte also mein Heim veräußern.“ Sie wollte natürlich wissen, warum wir so erpicht darauf waren gerade ihr Haus zu erwerben. Meine Antwort lautete: „Weil unsere Kirche hier in unmittelbarer Nähe bauen wird.“ Dann beruhigte ich sie und versicherte ihr, dass es keine Eile habe. Wir könnten warten. Weil sie es so wollte, kam es schnell zu einer Einigung. Der Kaufpreis lag laut Schätzung bei 42 000 Mark. Üblicherweise hatte man in der DDR jedoch stets einen höheren Preis zu bezahlen als beispielsweise Autos oder Häuser getaxt worden waren. Frau Metzler wollte aber nicht mehr verlangen, als den veranschlagten Wert. Dies war das nächste Wunder!

Später haben wir die alte Dame, da sie gehbehindert war gelegentlich mit dem Auto zum Einkauf gefahren. Es ergab sich, dass wir sie häufiger besuchten, was dazu führte, dass sie uns das vertrauliche Du anbot. Das vertiefte die Bindung. Nur wenige Monate danach drängte unsere Freundin uns alles notariell zu regeln. Ich sagte ihr ehrlich, dass ich die erwähnten 42 000 Mark nicht gleich zur Verfügung hätte, sondern nur die Hälfte: „Frank, dann bezahlst Du eben was Du kannst und den Rest zahlt Ihr eben ab.“ Das wurde beim Notar festgeschrieben, nachdem ich dort die Anzahlung von 20 000 in bar geleistet hatte. Abends gingen wir hin um uns zu bedanken. Plötzlich wandte Frau Dorle Metzler sich an Helga und lud sie ein, sie in ihr Zimmer zu begleiten. Ohne viele Worte zu machen gab sie meiner Frau 10.000 zurück: „Ich brauche das Geld doch gar nicht!“, als hätte sie geahnt, dass der Tod auf sie wartete. Vier Wochen später verstarb unsere Wohltäterin. Gott segne sie für ihren Großmut.

Wir waren in der Lage die Ansprüche der Erben zu befriedigen. So wurden wir Hausbesitzer. Ich fühle mich heute noch tief bewegt. wenn ich nur daran denke, was sich rund um uns ereignete. Entsprechend unseren Möglichkeiten bauten wir einiges am und im Haus um und zwei Jahre später konnten wir mit unseren Kindern dort einziehen. Wir lebten zwar in einem diktatorischen Staat, aber wenn ‚oben’ eine Entscheidung getroffen wurde, dann geschah das manchmal, wenn es nicht gerade die entschieden zu hochgesteckten volkswirtschaftlichen Pläne betraf.

So war es mit dem Bauprogramm der Kirche. Die DDR benötigte Valuta und Anerkennung, beides konnte ihr die Kirche, wenn auch nur im begrenzten Maße, geben; vorausgesetzt, der Staat mischte sich nicht in unsere Angelegenheiten ein, während unsere Seite auf ihren Idealen von der Freiheit und den Menschenrechten beharrte.

Zum Abschluss erzähle ich hier die kuriose Geschichte, wie ich zu einem Schaf kam: Kurz bevor im Juni 1988 in Zwickau das neue Gemeindehaus eingeweiht wurde, beging ich die bodenlose Dummheit mit meiner Rechten Hand zur Schneidekante des noch laufenden Rasenmäher zu greifen. Ein paar kleine Grashalme schienen mir im Wege zu sein. Plötzlich hingen die Kuppen von vier Fingern nur noch an einigen Hautfetzen. Die Chirurgen flickten sie wieder an den richtigen Platz. Präsident Ringer sah den Verband: „Wir müssen nach Zwickau fahren. Ist das trotzdem möglich?“ Ich nickte natürlich. Auch der Ratgeber des Bischofs wollte wissen was passiert war. Er lachte: „Hättest du dir doch ein Schaf gehalten!“ Diese Bemerkung hatte Hans B. Ringer gehört. Er sagte diesem Ratgeber: „Ich möchte, dass Sie Präsident Apel, bei der Weihung des Gemeindehauses ein Schäflein schenken.“

Präsident Monson der zur Weihung des Gemeindehauses ebenfalls angereist war schaute sich nach der ersten Versammlung, begleitet von den leitenden Brüdern das ganze Umfeld an. Wir bogen um das Haus herum und da, zu stand, auf dem Rasenfeld, zum Ergötzen aller, ein ausgewachsenes Schaf, das trug ein Schild und da hieß es: „Der schonendste und umweltfreundlichste Rasenmäher der Welt.“ Präsident Monson lachte als er den Zusammenhang begriff. Er beugte sich zu mir, als wir zur nächsten Versammlung gingen und sagte: „Bruder Apel wird in seiner Ansprache über die Schafe(Gottes) reden!“

Da ging kein Weg vorbei. Zum Schluss musste ich das Schaf in meinen schönen „VW Bus“ bringen und nahm es seufzend mit mir heim. Ich dachte an die Worte Jesu, die er als Auferstandener zu Petrus sagte: „Liebst du mich? Dann weide meine Lämmer!“ Was für eine Lehre! Nicht alle Erfahrungen sind wunderbar, doch ich erlebte das Große immer wieder.

Auf Wunsch der Gebietspräsidentschaft Frankfurt sollte ich am 23. Mai 2008 Präsident Dieter Uchtdorf vom Flughafen Dresden abholen um ihn in sein Hotel in Dresden zu bringen. Er sagte nichts, was auf eine nächste Herausforderung hinwies. Doch am andern Tag erfuhr ich, dass Helga schon mitgeteilt worden war, am Sonnabend im Tempel zu sein. Sie möchte den Eingang benutzen der ins Büro des Tempelpräsidenten führt: „Auch Sie, lieber Bruder Apel, werden dabei sein“, sagte Dieter Uchtdorf. So erfuhren wir, das eine neue Berufung auf uns wartet: „Sind Sie bereit, Geschwister Apel, in den nächsten drei Jahren im Freibergtempel als Präsident und Oberin zu dienen?“ Unsere Antwort lautete wie sie sie immer gelautet hatte: „In aller Demut werden wir versuchen, diese Aufgabe zu erfüllen. Mit ganzem Herzen sind wir bemüht die Gebote Gottes zu halten.“

Noch durften wir zu niemandem davon reden, was nicht einfach war, weil man uns gesehen hatte, wie wir im Präsidentenbüro zusammen gesessen haben. Peter Schönherr unser Schwiegersohn amtierte dort doch als Tempelrecorder, nur zwei Türen weiter. Natürlich wurden uns indirekte Fragen gestellt, aber wir hielten uns an die Weisung und schwiegen, auch gegenüber unseren Kindern. Drei Wochen später kam der Berufungsbrief von der Ersten Präsidentschaft. Am 14. Juni brachte es die ‚Church News’ Da dachte ich wieder an die Worte Dieter Uchtdorf: „Der Herr und die Brüder kennen Euch. Ihr werdet es gut machen!“

Eben das ist mein Wunsch und die Hoffnung meiner lieben Frau Helga.