Gurkeln, Sensburg, Ostpreußen
Ich heiße Horst Balzer, bin geboren am 12. Mai 1929 in Gurkeln, Kreis Sensburg, Ostpreußen. Mein Vater hieß Theodor Franz Balzer und meine Mutter Marie Wiborny. Ich habe sechs Geschwister; ich bin das vierte Kind. Ich bin in die Schule gegangen, ich war noch nicht ganz sechs Jahre und habe acht Jahre Volksschule gehabt und nachher ging ich direkt in die Lehre als Hufschmied in Eichendorf. Das ist drei Kilometer von unserem Dorf entfernt. Da habe ich zwei Jahre gelernt und da kam der Zusammenbruch.
Nach dem Zusammenbruch habe ich den Russen immer Pferde beschlagen müssen. Dann haben sie uns zum Heufahren genommen in den Gütern. Wir hatten lauter Kühe. Da mussten wir das Heu zufahren, das Futter. Da waren mehrere Jungs und viele Mädels. Meine Mutter und meine zwei kleinen Geschwister und meine älteren Geschwister und die Schwester Irmgard, die haben sie alle zur Arbeit genommen. Wenn wir das Heu fuhren, haben wir viele Tote gesehen. deutsche Soldaten. Ich war jung, ich war damals sechzehn, siebzehn Jahre alt. Da lag ein junger Soldat. An Tote wagte ich mich nicht dran, weil der so glasige Augen hatte, so eine Starre in den Augen. Ich habe immer solche Angst gehabt. So graute ich mich. Ich bedauere heute noch, dass ich nicht ran gegangen bin und ihm die Kennmarke genommen habe, da hätten die Eltern gewusst, wer das war. Die wurden alle ins Massengrab reingescharrt. Da mache ich mir heute noch Vorwürfe. Die hatten sie doch am Hals die Marke getragen und ich sollte den Mut genommen haben. Da hätten sie gewusst, wer der junge Mann war, das war ein Offizier.
Wir haben immer gearbeitet. Da waren Russenfrauen mit Gewehren, die haben das Gut bewacht auch Russen. Die waren freundlich. Die Mädels, die haben uns Jungen gewarnt: „Heute kommt Razzia, die werden euch sammeln nach Russland, versteckt euch“! Alle haben sich versteckt. im Heu, im Stroh, da finden sie uns, wenn sie anfangen zu stechen mit den Bajonetten. Wir, mit zwei Mann, wir gingen in die Scheune, wo das Vieh stand. Über dem Eingang, auf dem breiten Balken lagen wir da. Alle haben sie gefunden, die jungen Leute und haben sie nach Russland genommen aber wir blieben verschont. Wenn ich heute so denk, da hatte ich einen Schutzengel gehabt. Nach vier Tagen haben sie mir eine Suppe gebracht im Versteck. Wie die Russen einbrachen, da habe ich mich versteckt, da war ich vierzehn Tage versteckt. Ich habe die Russen gesehen, aber die mich nicht. Die ersten Russen zogen ab und da ging ich raus. Da lagen die Frauen unter der Decke, auf der Erde. Auf einmal kommt jemand herein, da war das ein Russe. Ich vor Angst ging runter unter die Zudecke. Und die anderen saßen alle. Und der Russe kam und die haben alles gesoffen, Brennspiritus und so. Da kam er herein und die mussten alle aufstehen und ich lag da unten. Dann fing er an die zudecke von mir runter zu reißen. Ich habe sie so umklammert, er hat so gezogen, doch er schaffte es nicht, mich aufzudecken. Aus Wut ging er raus, nahm die Pistole, wollte Angst machen. Wie er raus ging, sprang ich auf hinter ihm und hab mich auf den Dachboden versteckt. Dann wie er zurück kam, haben die Frauen erzählt, schaute runter unter die Decke, aber sie war leer. Er fing an zu suchen überall, und konnte mich nicht finden. Ich hatte wieder so ein Glück, wieder ein Engel.
Einmal saß ich in dem Versteck, ein langes Loch, da lag ich drin, es war ein kalter Winter, da schlief ich am Tage. Auf einmal kommt ein Russe herein gekrochen. Da wachte ich auf, er war schon dicht dran, er brauchte nur einmal die Hand ausstrecken, dann hätte er mich gefunden, er hätte bestimmt geschossen. Der Herr hat ihm sicher gesagt, geh nicht weiter, es ist nichts. Er drehte um. Aber da hatte ich Angst gehabt. Dann schaute ich, dass ich so schnell aus diesem Loch heraus kam. Den anderen haben sie gefunden, der war auch in diesem Loch drin, der ist bis heute verschwunden. Da komme ich raus, meine Schwester haben sie nach Sibirien genommen, sie war fünf Jahre in Sibirien. Meine Mutter und die kleinen Schwestern, mein kleiner Bruder, die waren noch da, alle anderen waren weg.
Morgen früh versteckt euch, wenn sie das Vieh nach Russland treiben, versteckt euch. Denn euch werden sie zum Treiben nach Russland mitnehmen. Und wir, was sollen wir machen jetzt? Wir sollen uns verstecken. Ich habe einen Gedanken gehabt. Wenn die jetzt das Vieh und Pferde mitnehmen, wenn ich nach Hause komme in mein Dorf und es ist Zeit Kartoffel zu pflanzen, ich war ja schon älter und habe ein bissel verstanden. Mit was werden wir graben. Da ging ich nachts, so um ein Uhr in den Pferdestall hinein, habe mir ein gutes Pferd ausgesucht, ein Trakehner Fuchs, ein Soldatenpferd und habe das Geschirr fertig gemacht, die Füße habe ich mit Säcken überbunden dem Pferd, der Hof war viereckig, dabei standen zwei Russen mit aufgepflanztem Gewehr und ich nach der anderen Seite, wo sie immer den Dung ausgeführt haben, da führte ich langsam das Pferd hinaus, längs dem Gebäude damit sie mich nicht sehen. Dann habe ich die Säcke abgenommen, sprang auf das Pferd und da ist überall Wald, zum Wald, im Galopp. Jetzt schnappen sie mich nicht mehr. In den Wald hinein, das Pferd am Baum angebunden und habe die Straße beobachtet. Da kam keiner. Ich konnte ja nicht schlafen. Morgens gucke ich, fingen sie an die Kühe hinauszutreiben. Da blieb ich damals den ganzen Tag noch am Wald, bis es dunkel und Nacht war. Längs der Straße, beobachtete ich – ich kannte mich da aus – über Felder und Wiesen und da war ich im Dorf. Die Mutter dachte, die haben mich auch nach Russland mitgenommen, wo ich nicht war. Da haben wir dann Kartoffel pflanzen können und haben es leicht gehabt. Aber das Pferd haben dann später einmal die Polen, die Soldaten, zur Ernte genommen. Aber ich habe lange das Pferd gehabt. Und später weiter, da kamen solche Traktoren, da haben wir ein deutschen Bulldog gehabt, den haben wir gegeben. Da habe ich direkt in der Landwirtschaft gearbeitet.
In Eichendorf, da waren die Traktoren. Dann haben sie mich versetzt auf das Gut Wensen, da wo später meine Frau auch war. Da haben wir uns kennen gelernt damals. Wir waren zuvor Freunde. Von da an haben wir uns beredet. Wir wollten nach dem Westen. In Schlesien da war meine Schwester. Mein Schwager war Pole, der war Rittmeister, polnischer Offizier, der war Bürgermeister. Wir wollten zu ihnen. Ich war in Eichendorf, sie in Wensen, da wollten wir uns treffen. Ich komme zum Bahnhof und da kommt meine Frau mit zwei Polizisten. Da nahmen sie uns mit und wir mussten wir vier Kilometer zum Polizeirevier. Ich habe Holz gehackt und sie musste die Polizeibuden sauber machen. Für einen Tag mussten wir arbeiten. Die haben uns zur Zwangsarbeit aus der Familie herausgenommen.
Am nächsten Tag, Heilig Abend, haben sie meine Frau nach Goldap in Masuren genommen. Da stand ich allein. Ich mochte sie als Freundin. Da bin ich eines Tages mit dem Fahrrad, im Winter sogar 110 oder 120 Kilometer gefahren zu ihr. Dann haben wir beschlossen. Pack die Koffer und Zack waren wir in Schlesien. Da waren wir vier Jahre, dann sind wir zurückgekommen. Meine Frau wollte ja zur Kirche. Ich war ja noch kein Mitglied. Kurz vor Weihnachten sind wir wieder nach Ostpreußen gefahren. Ich hatte ja Schlesien eine feine Arbeit, wir haben mit dem Bager Gipssteine freigelegt und hatten prima gute Arbeit gehabt. Dann habe ich eine Arbeit am Bahnhof gehabt, wo Holz verladen wurde. Da bin ich jeden Tag zu Hause. Aber die Frau wollte zur Kirche. Dann sind wir zur Mutter gezogen. Da kommen sie mit Traktoren mit Langhölzern. Da bin ich mit Holz gefahren, das gefiel mir. In Lötzen, 40 Kilometer von unserem Ort, da habe ich auch Holz gefahren. Autos von Tschechien, Prager und Tatra waren das. Die Prager hatten Sechszylinder, die Tatra hatten Zwölfzylinder. Da habe ich Holz gefahren, so lang, wie sie wachsen die Bäume. Da habe ich die ganzen Jahre Holz gefahren. Ich habe feines Geld verdient.
Die Kinder hatten sich alle taufen lassen, sie waren gut erzogen. Die Kinder, die trinken und rauchen nicht . Ich bin oft zur Kirche mitgefahren. Die Kinder waren ja schon Priestertumsträger, die waren achtzehn Jahre. Da sagt die Familie, „wir wollen doch zusammen sein“. Ich habe geraucht damals, Bierchen getrunken. „Morgen ist Sonntag“, sagt der Apostel Hunter zu mir, (und ein Apostel, der Sie konfirmiert, solche Gelegenheit werden Sie nie mehr wieder kriegen), „Kommen Sie, geben Sie sich einen Ruck“. Ich habe sofort aufgehört zu rauchen und zu trinken. Und ich ließ mich taufen von dem Missionspräsidenten Rendell N. Mabey.
Kurze Zeit danach bekamen wir die Ausfahrt nach dem Westen. Das hat mich dann wieder verdorben. Dann haben wir wieder nichts gehabt und ich bin in den alten Trott verfallen. Und da war eine Konferenzversammlung in der Kirche und da war Bruder Schulze von Hannover, der hatte sieben Kinder und da war Bruder Hohmann und sagte: „Kommen Sie. Ich gebe ihnen einen Segen“. Ich sagte zu mir: „Komm, hau ab; ich wollte mich verdrücken“. Da klopft mir jemand auf die Schulter und sagte: „Bruder Balzer, kommen Sie ich gebe Ihnen einen Segen, Sie brauchen keine Verpflichtung eingehen .Ich gebe Ihnen einen Segen, passen Sie auf, Ihnen wird es gleich besser gehen“. Dann ließ ich mir den Segen geben. Ich sagte zu mir, pass auf, was er dir sagen wird. Da hat er mir den Segen gegeben, gab mir die Hand und sagte: „Wenn Sie so weit sind, wenn Sie in den Tempel gehen werden, dann sagen Sie Bescheid“. Wir fuhren nach Hause mit dem Auto und da hab ich mir gedacht: „Was hat er dir gesagt, was für Worte“? Ich wusste es nicht. Meine Frau saß in der Küche, am Herd und ich sagte zu ihr: “Weißt du, ab heute gehe ich jeden Sonntag in die Kirche und zahle den ehrlichen Zehnten!“ Sie denkt, sie hört nicht recht. „Wie“? „Ab heute gehe ich jeden Sonntag in die Kirche und zahle meinen ehrlichen Zehnten“. Sie dachte, ich scherz mit ihr. Und nächsten Sonntag ging ich zum Zweigpräsident, er war noch kein Bischof, der Bruder Scherer war das. Ich sagte: „Bruder Scherer, ab heute, komme ich jeden Sonntag in die Kirche und zahle meinen ehrlichen Zehnten, aber eine Ausnahme, kein Gebet und keine Ansprache“. „Natürlich, natürlich“! Kurze Zeit später kam er, würden Sie nicht ein Gebet und kurze Ansprache. Dann konnte ich nicht anders und habe es getan. So ging das und wissen Sie, ganz ehrlich, was ich damals versprochen, das habe ich immer gehalten, bin jeden Sonntag in die Kirche gegangen und habe meinen Zehnten gegeben.
Wie ich in der Kirche war, bekam ich später eine Berufung. Die erste Berufung war Hausmeister, aber ehrenamtlich, unbezahlt. Heute haben wir in der Kirche alles schön gemacht. Rasen und Viel streuen, viel Arbeit .Und in dieser Zeit wurde ich berufen zum Sonntagsschulleiter. Dann wurde ich entlassen und sie haben mich ins Kollegium berufen, zweiter Ratgeber war ich. In der Sonntagsschule, wenn es um Ansage ging oder Bilder oder Türsteher. Ich hatte das Aaronische Priestertum gekriegt und dann das Melchizedekische. Dann war meine Frau an den Füßen krank, Rheuma, sie war auf Kur. Ich war ratlos. Und da dachte ich über meine Frau nach und da war ich allein zu Hause und da habe ich gebetet, zum ersten Mal laut. Er möchte doch der Frau helfen und mir einen schönen Traum geben und die Sorgen vergessen. Und ich hatte einen Traum. Da war die Kirche, da waren Leute, alle in Weiß, die Füße im Nebel, und da waren drei Herrlichkeiten im Zimmer und die haben gesungen. Ich war an der Decke, ich konnte mich sehen im schwarzen Anzug und ich wollte sehen, wo die Musik heraus kam, doch ich kam nicht von der Stelle, aber ich habe gesehen, dass ich das bin. Dann kamen drei vier Strahlen von oben herunter und ich guckte nach oben, ob ich da was sehe ,ob ich Jesus Christus sehen kann, es war hell, ich habe kräftig mitgesungen, da habe ich im Bett gelegen. Das habe ich geträumt, was das zu bedeuten hat, weiß ich nicht. Damals war ich noch nicht im Tempel. Wie die Zeit war zum Tempel, da habe ich angerufen zum Schulze, dann und dann bin ich im Tempel. Aber leider er konnte damals nicht kommen. Zuerst das Endowment für mich gemacht und dann die Siegelung mit meiner Frau gemacht, herrlich. Und ja, wie wir wieder einmal waren, dann haben wir ihn getroffen, Bruder Schulze. Und er hat uns umarmt. Wenn er Zeugnis gibt, dann erzählt er, wie ich in den Tempel kam, Wunderbar! Wir gehen jeden Sonntag in die Kirche und freuen uns, dass es einen Ort gibt, wo wir uns erholen können. Jetzt habe ich das Hohe Priestertum gekriegt. Wir fühlen uns hier sehr wohl. Ich bleibe getreu dem Herrn bis zum Tode.