Zoppot bei Danzig

Mormon Deutsch Eva Charlotte BewerIch heiße Eva Charlotte Bewer, geborene Schulz, geboren am 19. Januar 1922. Ich bin in Zoppot [heute Sopot] geboren und dort auch aufgewachsen. Meine Kindheit habe ich bis 1945 in Zoppot verbracht. Meine Mutter ist gestorben 1929, da war ich 7 Jahre alt. Mein Vater hat dann noch einmal geheiratet und hat eine Mormonin geheiratet. Und das war Anna Schulz, geborene Hewelt. Dadurch bin ich zur Kirche gekommen, durch meine Stiefmutter. Aber mein Vater war auch ein guter evangelischer Christ. Er hat meiner Mutter nichts in den Weg gelegt. Aber er wollte nicht, dass ich getauft würde mit 8 Jahren, das hat er nicht gewollt.

In Zoppot gab es keine Gemeinde, aber in Danzig gab es eine. Das war ungefähr 10 Kilometer von Danzig entfernt. Aber es gab kein Gemeindehaus, sondern wie es damals war, die Gemeinden waren in Schulen oder anderen Gebäuden untergebracht. Ich durfte aber immer zum Fastensonntag mitfahren. Meine Mutter konnte ja nur einmal im Monat fahren. So viel Geld war nicht vorhanden. Und da hat sie mich dann mitgenommen. Und dadurch habe ich die Sonntagsschule schon kennengelernt.

Dann mussten wir 1945 flüchten aus Danzig. Da war der Russe dann schon in Zoppot. Wir sind dann mit einem Schiff, mit einer Barkasse, von Danzig Neufahrwasser zur Halbinsel Hela hinübergefahren. Aber nur meine Mutter und ich, denn mein Vater war zum Einsatz in Köln, als es so bombardiert wurde. Mein Vater war Glaser, und er musste zum Glasereinsatz von der Innung aus. Und dadurch bin ich mit meiner Mutter alleine geflüchtet.

Ich hätte schon viel früher herauskönnen, aber ich hätte nie meine Mutter mitnehmen dürfen. Ich hätte auch mit der berühmten „Wilhelm Gustloff“ fahren können. Ich weiß nicht, ob sie die Tragödie kennen. Aber auf das Schiff kam man nicht mehr. Und dann bin ich dageblieben und bin dann nachher von der Halbinsel Hela mit einem türkischen Schiff, mit der „Swakopmund“. Es war ein Segen, dass ich nicht mehr auf die „Wilhelm Gustloff“ kam. Dann sind wir mit dieser „Swakopmund“ in einem großen Geleitzug mit Schiffen vom Rotenkreuz nach Lübeck gefahren. In Lübeck wussten wir nicht weiter. Meine Mutter hatte eine Cousine in Teterow, das ist bei Neubrandenburg. Dann sind wir beide dorthin gefahren mit dem Zug. Es war sehr schwierig, einen Zug zu bekommen, mit dem man fahren konnte. Dort blieben wir zwei Monate, und dann kam der Russe dahin.

Das war 1945 im Mai. Da bin ich noch zu meiner Tante gegangen, ich musste etwas hinbringen. Als ich auf dem Weg zurück war, stand ein Kettenhund [Feldgendarm] von den Soldaten da. Der hat zu mir gesagt: Was machen sie noch hier? Sie müssten doch schon längst weg sein. Sie wissen doch, was durch die Russen passiert. Es waren Deutsche, die mit den Truppen auf dem Rückzug waren. Dann hat er zu mir gesagt: Mit dem nächsten Wagen, der kommt, können sie gleich mitfahren. Ich sagte: Nein, das geht nicht. Ich habe ja meine Mutter noch hier. Aber er sagte, lassen sie alles stehen und liegen. Und das, was wir alles noch mitgeschleppt hatten, das blieb zurück. Das war nicht so wichtig.

Wir sind dann mit einem Kutschwagen geflüchtet. Die ganze Nacht mit meiner Mutter. Das war ich ihr schuldig. Sie hat mich erzogen. Nach einer schlimmen Fahrt in der Nacht, die Russen schossen schon von Malchin, das sind ungefähr 15 Kilometer Entfernung, sind wir davongekommen. Das war eine ganz kalte Nacht. Dann sind wir bis Güstrow gekommen. Dort wollten wir auch nicht bleiben. Wir wollten weiter. Und wir hatten dort auch niemanden. Dann sind wir auf ein Lastauto aufgeladen worden. Meine Mutter, die war klein und ein bisschen pummelig, kam ganz schlecht auf das Auto. Aber man hat sie hochgehoben. Und als wir hier vor Schwerin waren, da war ein Fliegeralarm. Da hat es geheißen: Tiefflieger. Alles herunter vom Wagen. Da hat meine Mutter gesagt: Ich gehe nicht hinunter. Ich bleibe hier oben und werde beten. Dann sagte sie noch zu mir: Verstecke dich unter dem Wagen. Ich bete, ich bleibe hier oben.

Dann sind wir mit dem Wagen weiter nach Schwerin gekommen, genau bis vor das Schloss. Dort mussten wir von dem Wagen absteigen, weil er beschlagnahmt wurde. Wir wollten ja gen Westen, wir wollten ja zu meinem Vater nach Köln. Das klappte nicht. Und so sind meine Mutter und ich nach Schwerin gekommen. Ja, wo sollten wir da bleiben? Wir kannten dort ja auch niemanden, und Flüchtlinge gab es genug, sodass gar kein Platz war.

Gegenüber vom Schloss sind Villen und die Wirtin von einem der Häuser, die sagte: Ach ja, sie beide, sie sind ja ganz nett. Ich will einmal meinen Sohn fragen, ob der schon Einquartierung hat. Den hat sie dann angerufen. Dann sind wir dort in der Schelfstraße gelandet. Die haben uns aufgenommen. Wir bekamen ein schönes Zimmer, und später bekam ich noch ein kleines Zimmer dazu.

Und dann fing ich an, meinen Vater zu suchen; denn in Köln war ja auch alles kaputt. Das hat 3-4 Jahre gedauert, bis ich ihn gefunden habe. Das ging dann über die Handwerks Innung. Und ich habe ihn gefunden. Und er kam dann nach Schwerin. Er war vorher auf dem Lande untergebracht, und mein Vater war ja kein Landmensch. Er war ja aus der Stadt. Er kam nach Schwerin und hat hier gearbeitet. Und die Leute, bei denen wir einquartiert waren, die hatten ein Lebensmittelgeschäft. Und das war unsere Rettung. So haben wir nie trocken Brot gegessen. Wir hatten alles. Durch den Laden lief auch noch die Wehrmachtversorgung, die hier die Lazarette usw. mit Lebensmitteln versorgte. So hatten wir immer zu essen. Wir haben nie Hunger gelitten.

Meine Mutter war auch sehr, sehr gläubig. Sie kannte das Buch Mormon auswendig. Wirklich, sie stand fest im Evangelium. Das war der Segen. Und davon habe ich mit profitiert.

Ich habe mich erkundigt, als wir in der Schelfstraße wohnten, wer im Nebenhaus Gottesdienste abhielt. Es waren Baptisten. Und meine Mutter wäre doch so gerne zu einer Versammlung der Kirche Jesu Christi gegangen. Dann bin ich zu den Baptisten gegangen und habe gefragt, ob es hier die Mormonen gibt. Die waren sehr gelassen, es waren ja Nachbarn. Der Mann, den ich antraf, war wohl Kirchendiener. Und er sagte, dass einmal jemand da gewesen sei. Aber alle seien in den Westen gegangen.

Bei der Gründung der Gemeinde Schwerin war ich mit anwesend. Und das war im Januar 1946. Ich bin noch die einzige Überlebende aus der Gründungsversammlung hier in Schwerin. Wir waren damals eine kleine Gemeinde, aber es war eine sehr schöne und lehrreiche Zeit. Wir waren ungefähr 20–25 Mitglieder zu der Gründungszeit. Vorher gab es keine Gemeinde in Schwerin. Durch die Flüchtlinge, die dann kamen, war es möglich, eine Gemeinde zu gründen. Und die ersten Mitglieder waren alle Flüchtlinge.