Passau, Bayern
Mein Name ist Therese Blasy, geborene Jslinger. Ich bin am 9. Januar 1938 als Dritte von vier Kindern in Passau geboren. Mein Vater Franz Xaver Jslinger, war Kraftfahrzeugmeister in Regensburg. Meine Mutter, Barbara geborene Heining war vor Ihrer Ehe Köchin.
Mein Vater ist in Regensburg geboren und ebenfalls meine zwei älteren Geschwister. Unser Vater war beruflich sehr viel unterwegs und kam dadurch auch 1937 nach Passau, seit dieser Zeit haben wir gelebt. Wie die meisten Männer in Deutschland wurde auch mein Vater im Krieg eingezogen; er war Oberwachtmeister bei der Flak und ist im März 1945 beim Rückzug aus Frankreich, kurz vor Kriegsende gefallen. Ich war sieben Jahre alt als mein Vater umkam.
Wir, das heißt meine Familie, haben das Kriegsende hier in Passau erlebt. Da wir ganz in der Nähe einer Genesungskaserne gewohnt haben, haben wir natürlich auch viel Entsetzliches gesehen und erlebt. In unmittelbarer Nachbarschaft war eine Fliegerabwehrstation. Natürlich wurde diese Abwehreinrichtung gezielt mit Tieffliegern und Bombenabwürfen angegriffen. Darum haben wir auch immer miterlebt, wie die Verwundeten und Toten vorbei getragen wurden. Es war speziell für uns Kinder entsetzlich, diese oft fürchterlich zerfetzten und entstellten Soldaten sehen zu müssen. Für mich war es ein einschneidendes und gravierendes Erlebnis.
Diese Genesungskaserne haben die amerikanischen Militärs dann als Stützpunkt benützt. Ich kann mich noch sehr gut an die erste Begegnung mit einen Afroamerikaner erinnern, bis dahin habe ich mir nicht vorstellen könne, dass es so tiefschwarze Menschen gibt. Laut schreiend, liefen wir Kinder davon. Diese „Schwarzen“ wie wir sie nannten waren aber sehr nett und gaben uns Kindern Kaugummi, den wir ja gar nicht kannte, Schokolade, Kekse usw. An und für sich waren die amerikanischen Soldaten sehr kinderfreundlich. Die ganzen Nachbarschaftskinder – früher gab es ja mehr Kinder als heute – haben sich immer vor dieser Kaserne eingefunden, weil sie immer Süßigkeiten bekamen. Ich habe da eine gute Erfahrung gemacht: nicht alle Menschen eines fremden Volkes sind anders als man selbst. Nur das Kriegserlebnis war nicht so schön. Aber das ist dann in den Hintergrund getreten, weil im Großen und Ganzen diese Besatzer menschlich waren.
Es gab zwar auch einige Schreckliche Vorfälle. Zum Beispiel: In Passau hatten wir unter anderen auch russische Kriegsgefangener, die hier zu Zwangsarbeit herangezogen wurden. Diese wurden ein paar Tage vor der Kapitulation auf freiem Feld von SS-Soldaten erschossen und verscharrt nachdem sie zuerst noch ihre eigene Grube graben mussten. Nach dem Einmarsch der Amerikaner, mussten Zivilisten; die mit der ganzen Sache ja nichts zu tun hatten, außerdem waren es ältere oder gebrechliche Männer; diese 107 russischen Zwangsarbeiter ausgraben und in einen provisorischen angelegten Friedhof, den sogenannten „Russenfriedhof“ beerdigen. Zu diesem Zweck wurden die Bewohner des ganzen Wohnviertels gezwungen anwesend zu sein. Auch Frauen und Kinder mussten dabei sein. Vor allem verstand und verstehe ich heute noch nicht warum auch Kinder dabei sein mussten, die ja noch gar nicht verstanden, was da vor sich geht.
Auch Flüchtlinge waren in der Nähe einquartiert und auch da gab es unschöne Übergriffe. Leider war das was da alles passiert zu dieser Zeit ziemlich normal. Noch Wochen danach gab es von jüdischen Männern, die für die amerikanische Militärbehörde gearbeitet haben, Denunzierungen und Beschuldigungen an Zivilpersonen, egal ob Mann oder Frau, dass sie bei der SS, der Partei oder sonst wo waren. Es gab viele Verhaftungen und Verhöre, bei denen die Behandlung der jeweils Beschuldigten nicht immer gerade human war.
Ansonsten gab es kaum Übergriffe von den amerikanischen Militärs, ja eben nur von den Jüdischstämmigen oder anderen KZ Befreiten, die ihre Wut und Aggression abreagierten. Später hat sich dann alles normalisier und man hat so vieles dann vergessen und verdrängt. Ich hatte später, als ich alles begriffen habe, gewisse Vorbehalte gegen Amerikaner, wahrscheinlich deshalb, weil mein von mir sehr vermisster Vater durch amerikanischen Tiefflieger umgekommen ist. Erst mit 15,16 Jahren habe ich alles besser verarbeitet und verstanden, dass in Kriegszeiten vieles geschieht was in normalen Lebensablauf nicht passiert.
Das kam später wieder ein bisschen hoch, als ich meinen Mann, Robert Johann Blasy, kennenlernte. Er ist nicht in Deutschland geboren, sondern in der Slowakei als Volksdeutscher. Er war der älteste Sohn von sechs Kindern. Sein Vater hieß ebenfalls Robert Jakob Blasy. Seine Mutter war Julie geborene Krass, die ebenfalls in der Slowakei geboren wurde. Meine Schwiegereltern hatten einen Gutshof und sie mussten, innerhalb eines Tages ihren Hof und alles was ihnen gehörte verlassen. Sie haben wenig Unterlagen und nur wenig Habseligkeiten mitnehmen können. Mein Schwiegervater hat immer gemeint, er kommt bestimmt wieder nach Hause. Eventuell hätte er zurück in die Slowakei gekonnt, wenn er die slowakische Staatsbürgerschaft angenommen hätte. Aber da wollte er nicht. Er hat gesagt: „Ich bin deutsch und ich möchte deutsch bleiben.“ Er selbst wurde deportiert und seine Frau und vier Kinder – zwei sind später in Deutschland geboren – mussten das Land verlassen. Sie wurden in einem Auffanglager gesammelt und dann „verschickt“, wie ein Stück Vieh. Sie konnten sich auch nicht aussuchen wohin sie wollten, sie wurden einfach irgendwo hingeschickt.
Nach etwa einen Jahr hat dann mein Schwiegervater durch die Suche vom Roten Kreuz seine Familie wieder gefunden. Sie sind dann in Cham, Bayrischer Wald ansässig geworden. Dort haben sie bis zu ihren Tot gelebt. Mein Schwiegervater hat nie überwunden, dass er seine Heimat verloren hat.
Ich denke, ich habe meine Frühen Erlebnisse in groben Zügen wiedergegeben und hoffe, dass das zeigt man kann mit guten Willen vieles Vergessen und Verzeihen. 1964 habe ich geheiratet und habe einen Sohn. Mein Mann ist im Juni 1990 gestorben. Seit dieser Zeit habe ich mich viel um alte, bedürftige Menschen gekümmert und ein erfülltes, zufriedenes Leben geführt.
1998 habe ich zum ersten Mal etwas von den „Mormonen“ gehört. Missionare habe ich schon öfter im Bus gesehen, sie sind mir durch ihre Schildchen aufgefallen, aber ich dachte das sind Studenten oder Austauschschüler und ich habe mich immer geniert, diese jungen Leute zu fragen woher sie kommen und was sie in Passau machen. Bis es eines Tages an meiner Tür geläutet hat. Da stehen zwei dieser jungen Männer und fragen ob sie etwas vom Evangelium erzählen dürfen. Da ich gerade beim Weggehen war, ich hatte eine Verabredung mit meiner Schwester, sagte ich: nein vielen Dank, ich hab keine Zeit. Die beiden Missionare sind schon 2 Stockwerke hinunter gegangen als ich diesen komischen Drang in mir fühlte und ich ihnen nachlief um zu sagen; wenn sie ein anderes Mal Zeit hätten würde ich sehr gerne mit ihnen reden. Nach ein paar Tagen kamen sie wieder und wir führten ein sehr nettes Gespräch. Zum Schluss gaben sie mir ein Buch Mormon mit einer Leseempfehlung. Als ich diese Stellen gelesen hatte, war ich so gefesselt, dass ich das Buch von Anfang an zu lesen begonnen habe. Beim nächsten Termin, der nach ein paar Tagen, hatte ich schon die Hälfte des Buches gelesen und natürlich auch viele Fragen. Das war Ende März 1998 und im Mai 1998 habe ich mich taufen lassen.